Jahrelang galt die Istanbuler Bogaziçi-Universität als liberal - auch in Kopftuch-Fragen. Das hat sich mit Semesterbeginn geändert.

Istanbul. Aischas Start ins neue Semester endet an den Toren der Bogaziçi-Universität in Istanbul. Sicherheitsbeamte versperren der Einundzwanzigjährigen den Durchgang. Der Grund: Aischa trägt ein Kopftuch, und das trotz des Verbots an türkischen Universitäten.

Bisher hatte die junge Frau die Eingangsschleuse dank der Anweisungen einer liberalen Präsidentin auch mit Kopftuch problemlos passieren können.

Die Entscheidung, ihr Soziologiestudium an der Bogaziçi-Universität zu beginnen, so erklärt die gläubige Muslima, hing damals weniger mit der guten Reputation der Hochschule zusammen als vielmehr mit ihrer Liberalität. Kopftücher wurden hier stillschweigend geduldet - bis heute.

Nach einem Rektorenwechsel zum neuen Semester änderten sich die Zustände an der Eliteuniversität schlagartig. Um 9.00 Uhr Ortszeit stellen die Sicherheitsbeamten die Studentinnen vor die Wahl. "Haare zeigen, oder draußen bleiben." Für Aischa und ihre Freundinnen ist keine der beiden Möglichkeiten denkbar. Sie stehen ein Jahr vor den Abschlussprüfungen. So kurz vor dem Ziel wollen sie ihr Studium nicht aufgeben. Ihre religiöse Identität, die das Kopftuch für sie symbolisiert, aber auch nicht.

Ebenso wenig wie den Kampf, den sie seit Jahren ausfechten:

Die Türkei ist das einzige Land mit einer islamischen Bevölkerungsmehrheit, in dem ein Kopftuchverbot an Universitäten herrscht. Es waren die putschenden Militärs, die nach 1980 die Universitäten gleichschalteten. Es wurde ein allmächtiger Hochschulrat gegründet, der der universitären Selbstverwaltung ein Ende setzte. Noch heute sind es die Bestimmungen des Hochschulrats und Gerichtsurteile, auf denen das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten fußt. Ein Verfassungsgerichtsurteil und diverse Verwaltungsgerichtsurteile verhinderten eine von der Regierung 1989 angestrebte generelle Liberalisierung des Kopftuchverbots. Anfang der Neunzigerjahre stand es weitgehend im Ermessen der Rektoren, wie sie mit der Kopftuch-Frage umzugehen gedachten, bis die Bestimmungen verschärft wurden. Heute gilt eine verbindliche, vom Hochschulrat erlassene Bekleidungsvorschrift, die das Kopftuch an Universitäten nicht erlaubt. Ein dieses Jahr unternommener Versuch, das Kopftuch zu legalisieren, scheiterte vor dem Verfassungsgericht.

Gläubige muslimische Studentinnen stehen somit vor einer Grundsatzentscheidung. Einen Schlupfwinkel bot bis heute die Bogaziçi-Universität in Istanbul, die als liberalste Universität der Türkei gilt. 1971 auf den Fundamenten des amerikanischen Robert College gegründet, verbinden Studenten mit ihr Begriffe wie Freiheit und Selbstbestimmung - auch in der Kopftuch-Frage.

Rund 120 Kopftuchträgerinnen drängen sich jetzt vor dem Eingangstor zusammen. Stimmen wirren aufgeregt durcheinander. Wann immer die Sicherheitsbeamten die Tore öffnen, um einen Bus mit kopftuchlosen Studentinnen einzulassen, erhebt sich wütender Protest. Einige Studentinnen, die ihre Haare offen tragen, bleiben ebenfalls vor den Toren. Sie wollen Solidarität mit ihren Freundinnen zeigen.

Man spricht sich gegenseitig Mut zu. Man dürfe nicht aufgeben, wolle kämpfen, eine Petition einreichen, vielleicht Klage erheben. Um 13.30 Uhr lassen die Sicherheitsbeamten die Studentinnen schließlich auf den Campus. Der Zugang zu ihren Kursen bleibt ihnen dennoch versagt.