Europa und die USA müssen “zu neuen transatlantischen Beziehungen“ kommen, sagt der einflussreiche amerikanische Politikberater John C. Hulsman. Bei...

Europa und die USA müssen "zu neuen transatlantischen Beziehungen" kommen, sagt der einflussreiche amerikanische Politikberater John C. Hulsman. Bei einem Vortrag in Haus Rissen erläuterte der Republikaner, die USA hätten unter der neokonservativen Bush-Administration versucht, Weltprobleme im Alleingang als Superpower zu lösen. Das sei gescheitert. "Wie viel ,soft power' zählt, zeigen uns die Europäer seit Jahren. Wir brauchen uns gegenseitig, um für alle wesentlichen Fragen Lösungen zu finden - von der Erderwärmung über Iran bis zur Einbeziehung der BRIC-Staaten Brasilien, Indien und China." Die Vorzüge der Kooperation habe schon Keith Richards erkannt mit dem Satz "Die Stones sind größer als jedes Soloprojekt." Im Abendblatt-Interview kommentiert Hulsman auch den US-Wahlkampf.


Abendblatt:

Was hätten wir nach einem Wahlsieg von John McCain zu erwarten?

John C. Hulsman:

Er würde etwas subtiler als Bush agieren, seine Ideen den Verbündeten mitteilen und sie fragen, ob sie mitmachen. Das wäre schon mal ein Fortschritt. Aber er will Iran weiter isolieren und zur Not Bomben einsetzen, wenn sie ihr Nuklearprogramm nicht einstellen. Obama dagegen will mehr Druck gegen Iran aufbauen, indem er Regionalmächte wie Syrien und die Golfstaaten einbindet. McCain ist völlig uneinsichtig, was den Irakkrieg angeht. Er wird konfrontativ und aggressiv gegenüber Russland sein. Also, Sie würden eine etwas kompetentere Version von Bush bekommen. Aber der Übergang von einem inkompetenten zu einem kompetenten Neokonservatismus entspricht nicht meiner Idee von Fortschritt.



Abendblatt:

Ist Sarah Palin eine gute Wahl als Vize-Kandidatin?

Hulsman:

McCain braucht die religiöse Rechte, die er bisher ignoriert und "Agentur der Intoleranz" genannt hat. Mit Palin hat er sie zufriedengestellt. Nur muss er auch die unabhängigen Wähler gewinnen, und die sehen in ihr eine stramme Rechte. Das Argument, Obama fehle die außenpolitische Erfahrung, ist jetzt auch verschlissen, denn Mrs Palin hat von Außenpolitik noch weniger Ahnung als meine Praktikantin.



Abendblatt:

Der US-Oberbefehlshaber im Irak will schon in den nächsten zehn Monaten US-Truppen abziehen. McCain dagegen nennt einen Rückzug "Feigheit". Was wird aus dem Irak?

Hulsman:

Die einzige Hoffnung der Neokonservativen um Bush und McCain ist, den Leuten den Irakkrieg als Erfolg zu verkaufen. Aber unter den unabhängigen Wechselwählern halten acht von zehn den Krieg für ein Desaster. Ich schätze, etwa ein Drittel der Republikaner sieht es ebenso realistisch. Ein anderes Drittel der Partei lebt in einer Art Fantasy-Welt und hält Irak für einen Erfolg, ein weiteres Drittel ist tief verunsichert. Vernünftig wäre, einen vertretbaren Übergang zu finden. Ein Truppenabzug würde insgesamt 18 Monate dauern. Aber wenn McCain gewinnt, wird es weitergehen wie bisher.



Abendblatt:

Deshalb wählen Sie wen?

Hulsman:

Ich werde Obama wählen, auch wenn ich Republikaner bin und nicht in allen Punkten mit ihm übereinstimme. Aber Obama ist sehr aufgeschlossen und hat verstanden, dass unsere Zeit eine partnerschaftlichere Politik verlangt. Deshalb ist diese Wahl eine Schlüsselwahl.



Abendblatt:

Sie sagen, die Republikaner hätten ihren Weg verloren. Wie ist das passiert?

Hulsman:

Die Neokonservativen sind passiert. Unter Bush haben wir eine unglaubliche Machtausweitung des Präsidenten, riskante Alleingänge in der Außenpolitik und gestörte Verhältnisse zu Bündnispartnern bekommen. Wir haben die Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus verloren. Der Irakkrieg hat uns 20 Milliarden Dollar gekostet, unsere Armee ist erschöpft. Das reicht.



Abendblatt:

Und Ihre Alternative heißt "Ethical Realism"?

Hulsman:

Wir knüpfen an Erfahrungen etwa von Truman und Eisenhower an. Beide fanden, es sei weder in Amerikas Interesse noch moralisch, die Europäer den Plänen Stalins zu überlassen. Sie wollten keinen Atomkrieg mit Russland, stattdessen haben sie Europa wirtschaftlich und militärisch in Bündnisse eingebunden.


Dieser Weg der Vernunft, gepaart mit stiller Diplomatie, hat sich im Kalten Krieg 40 Jahre lang bewährt. Der ältere Bush wusste das noch. Er hat mit Gorbatschow geredet, und am Ende resultierte daraus die deutsche Wiedervereinigung.


Abendblatt:

Die USA haben ihre Interessen. Was heißt denn, sie "ethisch" zu verfolgen?

Hulsman:

Wir haben Kriterien weiter gedacht, die der protestantische Philosoph Reinhold Niebuhr und der US-Außenpolitiker Hans Morgenthau entwickelt haben. Dazu gehört: Vorsicht statt blinden Aktionismus. Lernen - weder im Irak noch früher in Vietnam hatten wir Entscheidungsträger stationiert, die viel über die Kultur der Menschen dort wussten. Drittens: Kooperation - wir müssen unsere Verbündeten, aber auch die Nichtverbündeten und ihre Interessen ernst nehmen, mit ihnen reden. Wir lieben Putin nicht, aber wir brauchen seine Hilfe in der Iran-Frage, beim Atomwaffensperrvertrag, beim Kampf gegen al-Qaida, bei der Versorgung mit Gas. Wer Lösungen in der Welt finden will, muss wohl oder übel auch mit Ländern reden, die keine Demokratien sind. Können wir mit der Welt über Öl reden ohne Saudi-Arabien? Können wir über globale Wirtschaft sprechen ohne China? Nein. Ich bin zuversichtlich, dass der Realismus zurückkehrt.