“Das ist das größte politische Glücksspiel, das ich je gesehen habe“, meint der US-Politiker Pat Buchanan. “Sie ist ja enorm aufregend, aber falls -...

Hamburg. "Das ist das größte politische Glücksspiel, das ich je gesehen habe", meint der US-Politiker Pat Buchanan. "Sie ist ja enorm aufregend, aber falls - Gott bewahre - irgendwas passiert: Kann sie dann Präsident sein?" "Sie" - das ist Sarah Palin, und die Frage stellt sich ganz Amerika.

Die Gouverneurin des Bundesstaates Alaska, Zweite bei der Wahl der "Miss Alaska 1984", war auf der großen politischen Bühne bis zu jenem Moment nicht weiter auffällig, als John McCain sie plötzlich als seine Kandidatin für das Amt des Vizepräsidentin aus dem Hut zog.

Nun ist Pat Buchanan nicht gerade unter die linksliberalen Kritiker der 44-jährigen Palin einzuordnen. Der Republikaner gehört zur erzreaktionären Fraktion seiner Partei und hatte sich zweimal vergeblich bemüht, selber Präsidentschaftskandidat zu werden. Aber nicht nur bei den Demokraten von Barack Obama fragen sich viele inzwischen, ob diese Wahl wirklich so weise war.

Zunächst mal sieht es ganz so aus - die Spenden für die Grand Old Party, die lange Zeit nur tröpfelten, fließen plötzlich reichlich. Denn McCain hat den Demokraten, die sich damit brüsteten, entweder die erste Frau oder den ersten Schwarzen ins Weiße Haus schicken zu können, zunächst einmal den Wind des Wechsels aus den Segeln genommen. Wir sind mindestens so progressiv wie ihr, lautet die Botschaft. Zudem punktet McCain mit einer Frau, die lebenslanges Mitglied der Waffenlobby NRA ist. Palin, die wegen ihrer Aggressivität beim Basketball den charmanten Beinamen "Sarah Barracuda" erhielt, hat aufgrund ihrer Jagdleidenschaft sogar eines ihrer fünf Kinder "Track" genannt - was man mit "Fährte" übersetzen kann. Ihr Mann Todd, ein Halb-Eskimo vom Volk der Yu'pik, passt ins Bild: Er hat viermal das knallharte "Iron Dog"-Schneemobil-Rennen über 2000 Meilen durch Alaska gewonnen. Sarah teilt dieses Hobby mit ihm.

"John McCain ist es gelungen, die einzige Frau in ganz Amerika aufzutreiben, gegen die Hillary Clinton zuckersüß aussieht", meinte Barbara Ellen, die scharfzüngige Kommentatorin des liberalen Londoner "Observer".

Und die konservative Londoner "Times" meinte, Palins Wahl sei zwar "großes politisches Theater", doch völlig unverantwortlich. Die Kritik bezieht sich vor allem auf ihre politische Unerfahrenheit. Die ehemalige Sportreporterin habe mit Alaska einen Bundesstaat geführt, der weniger Einwohner habe als die Stadt Leeds, gab die "Times" zu bedenken. Ihre Wahl sei eine "Extravaganz", die nicht in die Herausforderungen der modernen Welt passe. Denn falls einem Präsidenten McCain, zweimal wegen Krebs behandelt, etwas zustieße, müsste Sarah Palin die mächtigste Nation der Welt in schweren Zeiten führen, müsste sich mit Großkalibern wie Russlands Wladimir Putin oder Chinas Hu Jintao messen und Probleme anpacken, die man in Alaska so eher nicht hat.

John McCain hat mit der ehemaligen Berufsfischerin das schlagkräftigste Argument gegen Rivale Obama selber entkräftet: das der mangelnden politischen Erfahrung. Ihr direktes Gegenüber im Wahlkampf, Obamas "Vize" Joe Biden, ist einer der ausgebufftesten Außenpolitiker der USA. "Sarah Barracuda" schleppt noch eine weitere Hypothek mit sich herum: In Alaska läuft eine Untersuchung, die herausfinden soll, ob sie massiven Druck ausgeübt hat, um den Ex-Mann ihrer Schwester, einen Polizisten, nach einer hässlichen Scheidung feuern zu lassen.

Einem anderen Vorwurf versuchte Palin gestern die Schärfe zu nehmen: Sie bestätigte, dass ihre 17-jährige Tochter schwanger sei. Sie trat damit im Internet kursierenden Gerüchten entgegen, ihr im April geborenes fünftes Kind, das am Down-Syndrom leidet, sei in Wahrheit der Sohn ihrer Tochter und sie habe das Kind lediglich als ihr eigenes ausgegeben. Ihre Tochter Bristol werde das Kind austragen und den Kindsvater heiraten, erklärte Sarah Palin. Das Pikante: Die Gouverneurin des Staates Alaska gilt als streng konservativ. So lehnt sie etwa Sexualaufklärung an Schulen ab und befürwortet stattdessen Programme, die sexuelle Enthaltsamkeit von Teenagern fördern sollen.