Vorne prangt ein Farbgemälde Mao Tse-tungs überlebensgroß und unübersehbar am Mausoleum, hinten staut es sich vor dem Kaiserpalast. Die mehrspurigen...

Peking. Vorne prangt ein Farbgemälde Mao Tse-tungs überlebensgroß und unübersehbar am Mausoleum, hinten staut es sich vor dem Kaiserpalast. Die mehrspurigen Straßen direkt am Tian&39;anmen-Platz sind seit Tagen gesperrt; auf dem äußeren Ring braust der Verkehr. Soweit es geht. An den Kreuzungen sind Verkehrskontrollen eingerichtet, zeitweise staut es sich endlos. Nicht selten weigern sich Taxifahrer, den Bereich anzusteuern.

Geduldig stehen Chinesen und Touristen Schlange vor gelbweißen Pavillons: Wer den Platz des Tores des Himmlischen Friedens im Herzen Pekings besichtigen will, muss sich auf Wartezeit gefasst machen. Zutritt erhält nur, wer eine Sicherheitssperre passiert. Wie auf dem Flughafen. In der Regel werden Ausweise verlangt, manchmal Leibesvisitationen vorgenommen. Zu groß ist die Furcht vor Terroranschlägen oder politischen Demonstrationen - zwei Tage vor der Eröffnung der Sommerspiele.

Gehen solche Bilder unmittelbar vor der Entzündung des Olympischen Feuers um die Welt, fürchtet das Regime vor einem Imageschaden für das ebenso kostspielig wie aufwendig inszenierte Riesenereignis. Glanz und Gloria des Sportspektakels sollen Erinnerungen an den 4. Juni 1989 verdrängen, als die Kommunistische Partei auf dem Tian&39;anmen friedliche Studenten niedermetzeln ließ.

Für Aufregung sorgte gestern ein Erlass der Behörden, wonach Journalisten "ermutigt" werden, sich 24 Stunden vorher anzumelden, wenn sie auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking Interviews oder Fotos machen wollen. Den Journalisten werde dann ein chinesischer Begleiter zur Seite gestellt. Zunächst hatte es geheißen, die Regelung sei für Journalisten zwingend.

Rund eine Million Menschen passen auf den Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens, der fünfmal größer als der Rote Platz in Moskau ist. Auf Einheimische wie Gäste übt das Areal einen geradezu magischen Reiz aus. Wer einmal hier stand, so das Gefühl, hat China erst so richtig betreten.

Anlass der erneuten Sicherheitsverschärfung ist ein Vorfall vom Sonntag. Demonstranten nutzten den Aufenthalt mehrerer internationaler Fernsehteams, Fotografen und Reporter in einem stadtbekannten Pekingenten-Restaurant, um ihren Protest gezielt zu lancieren. Sie beklagten sich über zu geringe finanzielle Entschädigung bei ihrer Umsiedlung vor mehreren Monaten und Jahren. Es gab Sprechchöre, Plakate, Aufruhr.

Tatsächlich seien, so berichten in Peking wohnhafte Europäer übereinstimmend, ganze Stadtteile "plattgemacht" und durch neue, schillernde Wolkenkratzer ersetzt worden. Chinesische Menschenrechtsgruppen sprechen von 1,6 Millionen Menschen, die an den Stadtrand oder gar aufs Land umquartiert wurden. Gewiss nicht freiwillig. Die Regierung gibt 6000 Fälle an.

Ein seit drei Jahren vor Ort lebender Geschäftsmann aus Hamburg berichtete dem Abendblatt gegenüber von alten Quartieren in seiner Nachbarschaft, die noch vor wenigen Wochen unter die Abrissbirne kamen. Da dort nicht mehr neu gebaut werden konnte, verdecken riesigen Plakatwände mit bunter Olympiawerbung den Kahlschlag.

Das Gros der Gäste auf dem Platz weiß nichts von diesen Maßnahmen, wenn sie geduldig anstehen. Bei bedecktem Himmel, schwülwarmer Witterung und 33 Grad ist die Wartezeit wahrlich kein Vergnügen. Überall wird fotografiert und gefilmt. Von oben zeichnen Überwachungskameras das Treiben auf. An kleinen Ständen werden Andenken und olympischer Nippes feilgeboten. Und an mehreren Stellen sind freiwillige Helfer mit blau gemusterten Hemden postiert, um Auskunft zu erteilen und den Weg zu weisen. Ein pulsierendes Bild - auf den ersten Blick: Touristen aus aller Herren Ländern, Einheimische, junge Frauen mit Sonnenschirmen, lachende Kinder. Doch der Frieden auf dem Platz des Himmlischen Friedens ist trügerisch.