Die amerikanischen Pläne für eine Raketenabwehr in Tschechien und Polen nehmen konkrete Formen an.

Hamburg/Prag. Gestern unterzeichnete US-Außenministerin Condoleezza Rice in Prag mit ihrem tschechischen Amtskollegen Karel Schwarzenberg einen Grundsatzvertrag, der den Bau einer amerikanischen Radaranlage im böhmischen Brdy vorsieht.

Rice sprach nach der Unterzeichnung von einem "Schlüsselvertrag des 21. Jahrhunderts", der "Freunde und Verbündete vereint, welche den gleichen Gefahren gegenüberstehen". Der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek nannte den Vertrag einen "Ausdruck des gemeinsamen Willens, die freie Welt zu verteidigen".

Das tschechische Parlament muss diesem Vorhaben noch zustimmen. Allerdings gilt dies aufgrund der Mehrheitsverhältnisse als unsicher. Die eintägige Rice-Visite in der tschechischen Hauptstadt wurde von Demonstrationen begleitet. Die Umweltorganisation Greenpeace protestierte im Stadtzentrum mit Plakaten "Macht uns nicht zum Angriffsziel". Auch die Bevölkerung ist dagegen: Nach aktuellen Meinungsumfragen lehnen rund zwei Drittel der Bürger in Tschechien das Projekt ab.

Auch in Polen stößt das Vorhaben auf große Ablehnung. Dort plant Washington den Aufbau der zweiten Komponente der Raketenabwehr: die Stationierung von zehn Abwehrraketen. Warschau fordert von den USA zusätzliche Sicherheitsgarantien, wie zum Beispiel Abwehrraketen vom Typ Patriot. Daher stockten die amerikanisch-polnischen Verhandlungen zuletzt.

Die in Polen eingeplanten Abwehrraketen haben keinen Sprengkopf. Sie sind 24 000 Kilometer pro Stunde schnell und sollen feindliche Flugkörper außerhalb der Erdatmosphäre rammen und so zerstören.

Die USA wollen mit dem neuen Raketenschild Angriffe aus sogenannten Schurkenstaaten wie dem Iran abwehren. Im Fall eines Abschusses einer Interkontinentalrakete aus dem Nordiran gen USA würde diese Mitteleuropa überfliegen. Die Kosten für die Anlagen in Tschechien und Polen belaufen sich auf rund 1,6 Milliarden US-Dollar. Die Stationierung soll spätestens 2013 erfolgen. Massive Kritik an der Raketenabwehr kommt aus Russland. Moskau wirft den Amerikanern vor, das System zu Spionagezwecken gegen Russland zu missbrauchen. Das amerikanische Unterfangen trifft aber vor allem eine russische Befindlichkeit: "Russland fühlt sich ausgegrenzt, da sich die Nato immer weiter nach Osten ausdehnt", sagt Regina Heller vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg dem Abendblatt. "Es ist aber auch verletzter Nationalstolz." Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ging der Supermachtstatus verloren. Diese Schmach gilt es wettzumachen: "Russland versucht sich wieder als Großmacht zu etablieren - in Europa und der Welt", sagt die Russland-Expertin Heller. Das Land wolle seine Vormachtstellung im postsowjetischen Raum - im sogenannten Nahen Ausland - unbedingt behalten und nutze jede Gelegenheit, seinen Einfluss geltend zu machen. So zum Beispiel in Georgien.

Außenministerin Rice kritisierte in Prag die russische Haltung gegenüber dem Kaukasus-Staat, die die dortigen Spannungen anheize. Die USA seien der "territorialen Integrität" Georgiens stark verpflichtet. Nach dem Ende der Sowjetunion hatten sich die autonomen Gebiete Südossetien und Abchasien von Georgien gelöst. Völkerrechtlich gehören sie zu Georgien, sind jedoch wirtschaftlich von Russland abhängig. Mitte April hatte Moskau angekündigt, seine Zusammenarbeit mit beiden Regionen zu vertiefen, und damit die georgische Regierung verärgert. Tiflis wirft Moskau vor, es wolle Georgien schwächen und seinen Beitritt zur Nato verhindern.