US-Elitefahnder. Sie sind Indianer. Sie lesen Spuren wie ihre Stammesväter. Und sie gelten als schärfste Waffe Washingtons gegen den Drogenschmuggel.

Tucson/Arizona. Sie müssen zu viert gewesen sein, als sie im Dunkel der Nacht über die Grenze schlichen. Und sie müssen schwer geschleppt haben. "Mindestens 100 bis 150 Kilo", schätzt Bryan Nez, während er in den fast schon verwischten Fußabdrücken liest, die die vier Unbekannten auf dem staubtrockenen Boden hinterlassen haben. Die Spuren führen nach Nordosten, in Richtung Highway 86, dorthin, wo sich an diesem - wie an fast jedem Tag - der stahlblaue Horizont hart vom roten Wüstensand abhebt. Woran die Männer so schwer getragen haben? Da kann selbst Bryan Nez nur raten: "Marihuana oder Kokain." Fast immer ist es Marihuana oder Kokain, das Drogenschmuggler in diesem öden Abschnitt der mexikanischen Grenze herüberbringen in den US-Bundesstaat Arizona. Und der Job von Bryan Nez ist es, sie aufzuspüren. Er und seine 20 Kollegen - darunter zwei Frauen - sind indes keine gewöhnlichen Fahnder des amerikanischen Zolls. Sie sind allesamt Indianer verschiedener Stämme. Und sie tun das, was schon ihre Vorväter seit Jahrhunderten besser konnten als andere: Spuren lesen. "Jeder hinterlässt Spuren", sagt Nez (49), ein Navajo mit schwarzblau schimmerndem Haar und Chef der kleinen Truppe. Er lässt sich auch durch Tricks der Drogenkuriere nicht in die Irre führen. Manche binden sich Teppichstücke unter die Schuhe, um Größe und Profil der Abdrücke unkenntlich zu machen, andere laufen einige Zeit rückwärts. "Stümperarbeit", schmunzelt Nez. "Irgendeinen Fehler macht jeder, bricht einen Zweig, verliert ein Haar oder Stofffasern, kickt einen Kieselstein durch die Gegend oder hat einen schiefen Gang." Sie nennen sich "Shadow Wolves" (Schattenwölfe), weil sie Spuren am besten im Schatten des aufkommenden Morgenlichts erkennen und lesen können. Und sie sind so erfolgreich dabei, dass die US-Zollbehörden sie als ihre "beste Waffen gegen den Drogenschmuggel" bezeichnen. Von den beschlagnahmten 30 000 Kilo Rauschgift pro Jahr gehen rund 70 Prozent auf das Konto der Schattenwölfe. Ihre Leistungen haben sich inzwischen bis nach Europa herumgesprochen. Kürzlich reisten drei dieser Spurensucher über das große Wasser und unterrichteten Grenzschützer in Litauen, Lettland und Estland in ihrer Kunst - zumindest in deren Grundzügen. Dort werden zwar kaum Drogen, dafür aber umso mehr Waffen geschmuggelt, möglicherweise sogar atombombentaugliches Material. Aber für die Indianer gilt: Spuren sind Spuren, egal von wem sie hinterlassen wurden. Bryan Nez' Einsatzgebiet daheim ist das Tohono O Odham Reservat, das sich auf 1,2 Millionen Hektar westlich der Stadt Tucson ausbreitet und auf 120 Kilometer Länge an Mexiko grenzt. In diesem unwirtlichen Territorium sind die Schattenwölfe mit ihren zwei verbeulten Pickup-Trucks und einem nicht minder abgewirtschafteten Jeep Cherokee täglich unterwegs. Sie tragen militärische Tarnanzüge, Baseballkappen und Sonnenbrillen. "Fast jeden Stein und Strauch" in dieser Gegend kenne er, behauptet Nez, und sein Kollege Chickasaw Warrior - ebenfalls vom Stamm der Navajo -, der im Pickup neben ihm sitzt, nickt beifällig. Plötzlich reißt Nez das Steuer herum und biegt vom Highway 86 in eine "dirt road", eine unbefestigte Straße, ab. So, als habe er ein genaues Ziel im Auge, obwohl außer menschenfeindlicher Wüste bis zum Horizont nichts zu sehen ist. Zumindest nicht für ungeschulte Augen. Wenig später bremst der Anführer der Schattenwölfe. Nez und Chickasaw Warrior steigen aus und beugen sich über den staubigen Boden. "Zwei, höchstens drei Stunden", murmelt Nez. Sie lesen im Sand wie in einem Buch. "Hier", sagt Nez und deutet auf ein paar Spuren, "kann man ganz genau sehen, dass eine kleine, sehr schmal gebaute Frau gegangen ist und einen etwa zehnjährigen Jungen an der Hand hatte, der recht müde war, weil er seine Füße kaum noch hob. Daneben ein anderes Kind, das gerannt ist, vermutlich um den Anschluss nicht zu verpassen, und ein recht großer Mann." Diesmal waren es keine Drogenschmuggler, und deshalb interessieren sich die Schattenwölfe auch nicht weiter dafür. "Das sind nur illegale Immigranten, die hier ihr Glück versuchen wollen", meint Chickasaw Warrior. Sie zu fassen ist nicht ihr Auftrag. Zurück auf dem Highway, passieren wir wenig später einen ausgeblichenen Gedenkstein. Er erinnert an Glenn Miles, einen ehemaligen Kollegen von Nez und Warrior. Miles war Apache und wurde 1987 von zwei Männern, die er aufgespürt hatte, kaltblütig erschossen. Die Täter wurden nie gefasst. Seither tragen alle Schattenwölfe eine graue Feder als Zeichen der Trauer auf der Schulterklappe. Ihr Job sei in den letzten Jahren gefährlicher geworden, erzählt Marvin Eleando, mit 26 Jahren Berufserfahrung der Veteran der Schattenwölfe. "Früher konnten wir unbewaffnet unsere Arbeit machen. Heute aber kommt es immer häufiger vor, dass Schmuggler auf uns schießen, wenn wir sie verfolgen." Abschrecken lässt sich die Spezialeinheit dadurch aber nicht. Einer der Gründe ist sicherlich die überdurchschnittlich gute Bezahlung. Schattenwölfe erhalten rund 60 000 Dollar im Jahr, etwa viermal so viel wie ihre indianischen Brüder im Reservat, sofern diese Arbeit haben. Doch auch etwas anderes treibt sie an - und das ist " die Liebe zum Land unserer Väter", wie Nez erklärt, während er mit einer ausladenden Handbewegung über die Wüste in Richtung Berge und mexikanischer Grenze zeigt. Dort, unter ihren Brüdern, leben nämlich nicht wenige, die selber als Drogenschmuggler das schnelle Geld machen wollen oder gar süchtig wurden. Marvin Eleando glaubt, dass man den Rauschgifthandel in den USA, zumindest den auf dem Landweg, völlig zum Erliegen bringen könnte, wenn es überall entlang der Grenze Spurensucher wie die Schattenwölfe geben würde. Dem Vorschlag, noch mehr indianische Spurensucher einzustellen, verweigert sich die US-Regierung jedoch. "Aus Kostengründen", wie es heißt. Bryan Nez glaubt den wahren Grund zu kennen. "Hier draußen herrscht ein Krieg, von dem die wenigsten Amerikaner die leiseste Ahnung haben, und es würde sie vermutlich beunruhigen zu hören, dass Heerscharen von Indianern hier mit Gewehren herumlaufen." Über einen anderen Vorschlag aus Washington, nämlich Spurensucher der Bundespolizei FBI im Grenzgebiet einzusetzen, kann Chickasaw Warrior allerdings nur lachen. "Was sollten die vom FBI hier schon ausrichten. Die könnten ja nicht einmal die Spur eines menstruierenden Elefanten im Schnee finden."