Frankenfeld

Es ist peinlich. Der Begriff Antisemitismus wurde ausgerechnet von einem Mitglied der Hamburger Bürgerschaft geprägt - dem selbst glühend antisemitischen Journalisten Wilhelm Marr (1819-1904).

Dass Antisemitismus als grundlegende, hasserfüllte Ablehnung des Judentums unglaublich dumm ist, braucht wohl nicht weiter betont zu werden. Und bemüht man sich um ein wenig Tiefenschärfe, ist der Begriff selbst schon töricht. Denn Semiten sind auch alle Araber und Äthiopier. Die Nazis haben ab 1944 bemerkenswerte ethnologische Eiertänze aufgeführt, um die Araber aus der Sprachfamilie der Semiten herauslösen zu wollen.

Dieser Tage taucht der Begriff wieder auf - in einer höchst entbehrlichen Diskussion. Da hatte Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, nicht nur ihres Haares wegen als "rote Heidi" etikettiert, den Einsatz von Streubomben im Libanon durch Israels Luftwaffe kritisiert und eine Uno-Untersuchung gefordert. Das war ihr gutes Recht, wenn auch nicht der Gipfel an Sensibilität - schließlich war Israel ursprünglich der Angegriffene.

Doch daraufhin hatte die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, der Ministerin vorgeworfen, eine antisemitische Stimmung in Deutschland zu fördern. Nun eskalierte die Diskussion. Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des früheren Zentralratsvorsitzenden Heinz Galinski, meinte, der Zentralrat sei "Sprachrohr Israels" und stelle jeden Kritiker Israels unter Antisemitismus-Verdacht. Zentralrats-Vize Salomon Korn warf Hecht-Galinski darob "jüdischen Selbsthass" vor, stufte aber die Einlassung der SPD-Ministerin von "antijüdisch" auf "antiisraelisch" herunter. Und gestern wies SPD-Fraktionschef Peter Struck die Schelte für Wieczorek-Zeul "im Namen meiner Fraktion" zurück. Auch Freunde müssten "wahrheitsgemäß miteinander umgehen", sagte er.

Wie wahr! Denn falls Israels Luftwaffe kurz vor Inkrafttreten der Waffenruhe rasch noch derart viele Streubomben über Beirut abgeworfen hat, dass nun, wie die Uno feststellte, 100 000 hochgefährliche Blindgänger herumliegen, die bei leisester Berührung spielende Kinder töten können, kann man das kritisieren. Uno-Generalsekretär Kofi Annan, des Rassismus unverdächtig, hat dies ja ebenfalls getan.

Ist das Förderung des Antisemitismus? Sinngemäß hat Israels voriger Premier Ariel Scharon einmal formuliert, Kritik an der israelischen Regierung sei Antisemitismus, da sie schließlich den einzigen Judenstaat vertrete. Eine gewagte These, der Avi Primor, Israels Botschafter in Deutschland von 1993-99, im Gespräch mit dem Abendblatt den erfrischenden Satz entgegenstellt: "Wenn Kritik an der israelischen Regierung Antisemitismus ist, dann besteht ein Großteil der Israelis aus Antisemiten."

Nun hat Heidemarie Wieczorek-Zeul mit diversen Äußerungen zu Israel in der Vergangenheit nicht immer großes Geschick bewiesen. Und kurioserweise ist in der deutschen Linken traditionell ein eher distanziertes Verhältnis zu Israel verbreitet - das allerdings, anders als bei der äußersten Rechten, nicht rassistisch, sondern politisch motiviert ist.

Ein wenig mehr Augenmaß ist der Ministerin schon anzuraten. Dennoch: "Man darf uns nicht nur kritisieren - man muss es auch tun", hat der angesehene israelische Autor Uri Avnery gesagt und davor gewarnt, Kritik mit Antisemitismus gleichzusetzen. Und Avnery hat klare Parameter gesetzt: "Die Frage ist, von welchem Standpunkt aus man Kritik übt. Bejaht man das Existenzrecht Israels - oder zielt die Kritik darauf ab, dies Israel abzusprechen?"

Die jüngste Antisemitismus-Diskussion, bei der inzwischen schon Bundeskanzlerin Angela Merkel vermitteln musste, ist so überflüssig, weil das deutsch-israelische Verhältnis längst stabil genug ist, um Kritik unter Freunden auszuhalten. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen bejaht nicht nur das Existenzrecht Israels, sondern ist auch in der Lage, zwischen Kritik an einer befreundeten Regierung und Rassismus zu unterscheiden.