Atomwaffen: Wo immer ein Regime danach greift, hat der Pakistaner Khan das Nötige geliefert - auch dem Iran. Er studierte in Berlin, verschaffte mit deutscher Technologie seiner Heimat die Bombe und bedient sich auch deutscher Schmuggler.

Hamburg. Die Guten sitzen hinter Stacheldraht: In Seibersdorf, eine halbe Autostunde südlich von Wien, schleusen Wissenschaftler der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA Hunderte Baumwolltücher, 10 x 10 Zentimeter groß, durch ihr Hochsicherheitslabor. Mit den Stoffquadraten haben Inspektoren in angeblich zivilen Nuklearanlagen auf der ganze Welt Staub gewischt. Nun legen die Atomdetektive die Tücher unter das Raster-Elektronenmikroskop und beschießen sie mit Röntgenstrahlen. Mit diesem Verfahren sind Partikelspuren von waffenfähigem Uran schon bei der verschwindend geringen Menge von nur einem Billiardstel Gramm zu erkennen. Wer immer sich am Bau einer Atombombe versucht, hier wird er entlarvt.

Der Böse sitzt in einer Luxusvilla am Rand der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, füttert morgens im nahen Wald wilde Affen, feiert abends seine Erfolge mit edlem Scotch, zählt seine Millionen und schreibt seine Memoiren: Abdul Qadir Khan (69), groß, markantes Gesicht, überlegenes Lächeln, volles silbergraues Haar, Schnurrbart wie Omar Sharif. Die internationale Presse nennt ihn "Dr. Seltsam" - nach der Hauptfigur einer Filmsatire, in der Regisseur Stanley Kubrick 1964 das atomare Wettrüsten aufs Korn nahm. Ein US-Regierungsbeamter vergleicht weniger humorvoll den Einfluß des Pakistaners auf das Weltgeschehen mit dem Hitlers und Stalins. Khan selbst sieht die Atombombe als "Friedenswaffe" und sich als Pazifisten: "Ich könnte keiner Ameise etwas zuleide tun."

Der Kampf zwischen Gut und Böse beschäftigt seit Jahren Polizei, Justiz und Geheimdienste in mehr als 20 Ländern - Tendenz steigend. Die Motive der Gegner sind so unterschiedlich wie Traum und Alptraum: Den Atomwächtern geht es um die Nichtverbreitung von Kernwaffen und damit um den Frieden, ja das Überleben der Welt. Khan und seine Kumpane dagegen hoffen auf eine Allianz gegen Amerika, eine islamische Atombombe und sehr viel Geld.

Ganz am Anfang indes bewegten wohl auch Khan idealistische Motive: Nach der Teilung Indiens und Gründung Pakistans wird der 16jährige Lehrersohn aus Bhopal Zeuge und Opfer hinduistischer Übergriffe gegen islamische Mitbürger. Nach der Schule in Karatschi ergattert der Hochbegabte ein Stipendium an der Technischen Universität in West-Berlin. 1972 promoviert er in Metallurgietechnik an der Katholischen Universität im belgischen Leuven. "Ein Wunderkind", urteilen Kommilitonen heute.

Khan macht Karriere, für sich und sein Land: In Amsterdam heuert er bei einem Zulieferer des britisch-deutsch-holländischen Zentrifugenbauers Urenco an, das noch heute im westfälischen Gronau die einzige deutsche Urananreicherungsanlage betreibt. Schon nach einer Woche schafft es der Atomnovize ins niederländische Almelo, wo Urenco gerade eine solche Anlage errichtet. Laxe Sicherheitsvorkehrungen ebnen ihm über Nacht den Weg ins Allerheiligste, an die Quelle der nuklearen Feuerstelle: Normales Uran, auf dem Weltmarkt leicht erhältlich, wird in speziellen Hochleistungszentrifugen waffenfähig gemacht.

Die besten Zentrifugen bauen die Deutschen: G1 und G2 (G für Germany). Im Drei-Staaten-Konsortium Urenco müssen komplizierte technische Beschreibungen ständig hin und her übersetzt werden. Der sprachbegabte Pakistaner nimmt sich dieser Aufgabe an - und die Dokumente der Einfachkeit halber auch gleich mit nach Hause, wo ein Kopierer steht. Im Januar 1976 reist Khan nach Hause, im März 1976 kündigt er. Jetzt erst schrillen die Alarmsirenen - zu spät: Khan gründet sein eigenes Nuklearforschungsinstitut, und 1985 wird in Pakistan erstmals Uran angereichert, in Zentrifugen, die den europäischen aufs Haar gleichen.

In Indien haben brillante Wissenschaftler aus eigener Kraft den Aufstieg ihres Landes zur Atommacht bewirkt. In Pakistan schafft es Khan, daß sein Land auf Augenhöhe bleibt. Doch dann will der mit Orden überhäufte Held des Vaterlandes mehr: Auf geheimen Wegen tritt er mit Kollegen aus Ländern in Kontakt, deren Regenten ebenfalls um die Bombe buhlen: Südafrika, Nordkorea, Libyen, Irak und Iran. Khan knüpft ein Netzwerk des internationalen Atomschmuggels. Er hat wichtige Helfer.

Der Geschäftsmann Buhary Seyed Abu Tahir aus Sri Lanka, ein Sonnyboy mit Vorliebe für Models, Yachten und schnelle Autos, soll in aller Welt willige Zulieferer gesucht haben. Er steht jetzt in Malaysia unter Hausarrest und hat inzwischen ausgepackt.

Der deutsche Kaufmann Gerhard Wisser (66) aus Johannesburg, in den 80er Jahren Zulieferer für das südafrikanische Atomprogramm, soll Tahir zugesagt haben, 5832 Zentrifugen für Libyen zu beschaffen. Er steht unter Hausarrest in seiner Villa und wohl bald vor Gericht.

Der Südafrikaner Johan Meyer, Chef einer Metallbaufirma in Vanderbijlpark bei Johannesburg, sollte die Produktion übernehmen. Er ist heute Kronzeuge der Staatsanwaltschaft.

Der deutsche Ingenieur Gotthard Lerch (63) soll Wisser geholfen haben, das Geschäft mit Libyen zu organisieren. Er sitzt jetzt in der Schweiz in Auslieferungshaft. Nach ihm hieß der Deal "Mr.Lerch-Project". Die Konstruktionszeichnungen stammen von der Hürther Firma Leybold-Heräus, bei der Lerch früher arbeitete. Testdaten und Prozeßberechnungen kommen von Khan aus Pakistan.

Der Schweizer Ingenieur Urs Tinner (40) soll bei der Firma Scop nahe der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur für Taher Zentrifugenteile produziert haben. Mehrheitseigner ist Malaysias Ministerpräsidentensohn Kamaluddin Abdullah. Tinner sitzt seit Oktober 2004 in Nordrhein-Westfalen in Auslieferungshaft.

Auch der Brite Peter Griffin aus Dubai ist mit von der Partie. Bei ihm treffen sich die Deutschen Wisser und Lerch, wohl um den Transport der Zentrifugenteile von Malaysia nach Libyen zu regeln. Griffin arbeitet für Englands Geheimdienst MI6. Als der deutsche Frachter "BBC China" mit der gefährlichen Fracht 2003 in Italien gestoppt wird, weiß Ghadafi, daß sein Spiel verloren ist. Der libysche Diktator gibt sein geheimes Atomprogramm zu, liefert der IAEA die bereits erhaltenen Zentrifugen aus - und alles fliegt auf.

Die libysche "Connection" wird demnächst juristisch aufgearbeitet. Andere Geschäfte Khans lösen diplomatische Aktivitäten aus: Der Atomexporteur beliefert auch Nordkorea und den Iran - vom fernöstlichen Diktator Kim Jong Il gibt es dafür Raketentechnologie, von den Mullahs wohl vor allem islamistisches Schulterklopfen und Bares. "Es ist ein richtiger Supermarkt", weiß IAEA-Direktor Mohammed Baradei - ein Arsenal des käuflichen Schreckens, angefragt auch von Terroristen wie der al-Qaida oder der Hisbollah. Auf einer Rüstungsmesse in Karatschi drücken Khan-Mitarbeiter verblüfften Kunden sogar Hochglanzprospekte in die Hand, auf deren Titel ein Atompilz droht.

Die CIA beschafft Beweise gegen den Terrorhändler, und das Weiße Haus sorgt für den nötigen Druck. Im Januar 2004 gibt Pakistans Präsident Musharraf nach und legt das Netzwerk lahm: Als Khan vor engsten Mitarbeitern gerade einen Toast "auf die guten Freunde und unser stolzes Land" ausbringt, dringen Uniformierte in die Villa ein und führen den Leiter der pakistanischen Atomwaffenschmiede in Kahuta, Islam ul-Haq, ab. Acht weitere Atomwissenschaftler und Militärs werden ebenfalls verhaftet. "Wir müssen der Welt beweisen, daß wir eine verantwortungsvolle Nation sind und die Weitergabe von Atomwaffen nicht erlauben", ruft der Präsident ins Parlament. Am nächsten Tag amnestiert er den Nationalhelden, der nun in seiner Villa wartet, bis sich der Sturm legt. Bis dahin will Khan seine Erinnerungen zu Papier bringen. "Die ganze Truhe hier ist voll mit meinen Tagebüchern", sagt er einem Reporter, "nichts lasse ich aus, was mir in meinem Leben passiert ist." Die Geheimdienste der Welt müssen sich allerdings noch gedulden: "Im Moment komme ich nicht weiter", schmunzelt Khan, "ich habe den Schlüssel zu der Truhe verloren."