Wahlen im Irak: Trotz massiver Bombendrohungen ließen sich die meisten Iraker nicht davon abbringen, ihre Stimme abzugeben.

Bagdad/Nadschaf. Der Schauplatz ist derselbe, aber das Geschehen ein völlig anderes. Unter der Herrschaft von Saddam Hussein pflegten in der Bagdader Bin-Ghaswan-Schule die Elitekader der Baath-Partei für den irakischen Machthaber zu stimmen, wenn er zu seiner Bestätigung aufgerufen hatte. Wie am 15. Oktober 2002, als Saddam Hussein 100 Prozent erhielt. Jetzt ist die Schule wieder ein Wahllokal, doch nicht mehr Saddam-Sohn Udai kommt hierher, sondern Menschen wie Mohammed Dlimi und seine Frau, die wählen wollen, "um zu zeigen, daß wir eine Rückkehr zur Stabilität wollen". Unter den zustimmenden Blicken seiner Frau betont der Sunnit Dlimi: "Wir wollen ein sichereres Land und eine bessere Zukunft."

Viele seiner Landsleute nutzten trotz massiver Drohungen der Aufständischen und landesweiter Anschläge die Gelegenheit, erstmals seit dem Sturz Saddams in freien Wahlen ihre Stimme abzugeben. Besonders hoch ist die Beteiligung bei Schiiten und Kurden, bei den Sunniten hingegen ist sie nach den Boykottaufrufen ihrer politischen Führer niedrig.

Das Wahllokal der Schule in Bagdad ist durch drei verschiedene Sicherheits-Bannmeilen abgeschottet. Nicht einmal einen Kugelschreiber dürfen die Wähler mit hereinbringen. "Alles okay. Es gibt keine Probleme", befindet Wahlhelfer Ammar Abdel Dschabbar trotz der mindestens neun Selbstmordanschläge auf andere Bagdader Wahllokale. Ein Stimmzettel nach dem anderen wandert in die Urnen; der Andrang reißt nicht ab.

Im sunnitisch dominierten Mossul im Norden des Landes bietet sich ein anderes Bild; Trotz des Boykottaufrufes der wichtigsten sunnitischen Vertreter gehen in vier Wahllokalen im Osten der Stadt immerhin einige Dutzend Iraker an die Urnen. Aufständische machen allerdings ihre Drohungen wahr und beschießen ein Wahllokal mit Mörsergranaten. Ein Wähler wird von einem Scharfschützen verletzt.

In Samarra hat der Bürgermeister die Wahl aus Sicherheitsbedenken abgesagt. Außer einigen Offiziellen von der Wahlkommission ist dort ohnehin niemand in den Wahllokalen erschienen. Ähnlich ist die Lage in der Widerstandshochburg Falludscha. Auch im westlich gelegenen Ramadi verbringen die Helfer in den drei Wahlbüros einen ruhigen Nachmittag - ohne Wähler.

Für die lange unterdrückten Schiiten hingegen sind die Wahlen eine historische Chance. Deshalb hat sich der 56jährige Dschauwad Schkeir in der heiligen Stadt Nadschaf zur Stimmabgabe aufgemacht, obwohl er sich als Blinder mühsam von Verwandten ins Wahllokal führen lassen muß. "Ich bestand darauf zu kommen, weil es religiöse Pflicht ist, wie Großayatollah Ali Sistani sagt", verweist Schkeir auf den geistlichen Führer der irakischen Schiiten. Nach jahrzehntelanger Dominanz der zahlenmäßig unterlegenen Sunniten können die Schiiten nun erstmals die wichtigsten staatlichen Ämter übernehmen.

In Nadschaf sagt die vollständig verschleierte 80jährige Mahdeja Saleh stolz: "Ich wurde unter Saddam oft zum Wählen gezwungen. Das ist jetzt die erste und letzte Gelegenheit in meinem Leben, den Kandidaten meiner Wahl zu wählen." Eine jüngere Frau hat ihr Baby zur Wahl mitgebracht, gewickelt in eine irakische Flagge. Der Enthusiasmus ist verbreitet in den Schiitengebieten. An vielen Wahllokalen stehen die Wähler in Warteschlangen an, während Lautsprecherwagen zur "Erfüllung der nationalen Pflicht" aufrufen.

Reger Andrang herrscht auch in der nordirakischen Kurdenstadt Erbil. In der Riskari-Schule wirft die Familienmutter Pina Mohammed ihren Stimmzettel in die Urne. Warum sie hier ist? "Ich bin wählen gekommen, weil ich eine bessere Zukunft für meine Kinder will."