Nairobi/Washington. Vor der Küste Somalias haben Seeräuber erneut einen US-Frachter ins Visier genommen. Die unter US-Flagge fahrende "Liberty Sun" wurde von den Piraten mit Panzerfäusten und automatischen Waffen beschossen, konnte jedoch entkommen, wie US- Medien in der Nacht zum Mittwoch berichteten. Nach Angaben des britischen Rundfunksenders BBC hatte sich die 20-köpfige Mannschaft des Schiffes im Maschinenraum verschanzt und die US-Marine um Unterstützung gebeten. An der "Liberty Sun" sei zwar leichter Sachschaden entstanden, das Schiff sei aber seetüchtig geblieben.

Unterdessen griff die französische Fregatte "Nivôse" im Indischen Ozean erstmals ein kleines Piraten-Mutterschiff an und nahm elf Seeräuber fest. Das zehn Meter lange Piratenschiff sei etwa 900 Kilometer östlich von Mombasa abgefangen worden, teilte das Pariser Verteidigungsministerium am Mittwoch mit. Es habe zwei kleine Boote für den Angriff auf Schiffe und 17 Fässer mit je 200 Liter Treibstoff an Bord gehabt. Die Seeräuber würden auf der "Nivôse" festgehalten.

Die "Liberty Sun" war nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) mit 27 000 Tonnen Mehl und Hülsenfrüchten für Hilfseinsätze in Kenia, Somalia und im Südsudan unterwegs. Die UN-Organisation zeigte sich angesichts des dritten Überfalls innerhalb einer Woche auf ein mit Hilfsgütern beladenes Schiff äußerst besorgt wegen der Versorgung von Millionen Menschen in Ostafrika.

Das Verteidigungsministerium in Berlin hält den EU-Marine-Einsatz "Atalanta" zum Schutz ziviler Schiffe trotz der wiederholten Piraten- Angriffe für erfolgreich. Alle bisher durch "Atalanta begleiteten Konvoi-Operationen - das waren bisher 19 Transits mit insgesamt 112 Schiffen - sind sicher und ohne Zwischenfälle durchgeführt worden", sagte Ministeriumssprecher Kapitän Christian Dienst am Mittwoch in Berlin. "Das, wofür wir im Rahmen von Atalanta Verantwortung tragen, das ist auch zu 100 Prozent erfolgreich." Keinem einzigen Schiff des WFP sei etwas zugestoßen.

Nach dem Hilferuf der Besatzung eilte der US-Zerstörer "USS Bainbridge" der "Liberty Sun" zu Hilfe. Die "Bainbridge" hatte sich in der vergangenen Woche bereits den Piraten in den Weg gestellt, die nach dem gescheiterten Überfall auf den US-Frachter "Maersk Alabama" den Schiffskapitän Richard Phillips fünf Tage lang als Geisel hielten. Als der Zerstörer bei der "Liberty Sun" eintraf, waren die Piraten bereits mit ihrem Schnellboot geflohen. Unklar blieb zunächst, warum sie den Rückzug antraten. Die "Bainbridge" geleitete den Frachter in Richtung seines Bestimmungshafens Mombasa in Kenia.

Seit Montag hatten Piraten bereits zwei Frachter und zwei ägyptische Fischerboote in ihre Gewalt gebracht. Am Dienstag wurde der libanesische Frachter "MS Sea Horse", der unter der Flagge Togos fährt, gekapert. Die "Sea Horse" war wie in der Vorwoche die "Maersk Alabama" im WFP-Auftrag unterwegs. Das Schiff sollte von Mogadischu das indische Mumbai (ehemals Bombay) ansteuern, um dringend benötigte Lebensmittel für die somalische Bevölkerung aufzunehmen. In der Nacht zum Dienstag war im Golf von Aden bereits der griechische Frachter "MS Irene" in die Fänge von Piraten geraten.

Ein WFP-Sprecher warnte vor den Auswirkungen der Piraterie auf die internationale Nahrungsmittelhilfe für Somalia und die gesamte Region, von der fast acht Millionen Menschen betroffen seien. "Durch die Angriffe wird es für WFP zudem immer schwerer, Reeder für seine humanitären Transporte zu finden, die durch stark steigende Versicherungskosten zugleich immer teurer werden", sagte Ralf Südhoff, Leiter von WFP Deutschland und Österreich. "Bereits vor den Entführungen mussten wir mangels Ressourcen die bittere Entscheidung treffen, ab heute die Essensrationen für Hunderttausende Flüchtlinge in Kenia zu kürzen. Jetzt ist die Hilfe insgesamt für Millionen Menschen gefährdet."

Am Dienstagabend hatte ein Hubschrauber der französischen Fregatte "Nivôse" einen Piratenangriff auf den unter liberianischer Flagge fahrenden Frachter "Safmarine Asia" abgewehrt. Die Piratenboote seien nachts bis zum Mutterschiff verfolgt worden. Die "Nivôse" nimmt am europäischen Einsatz "Atalanta" teil. Nach drei früheren französischen Militärschlägen gegen Seeräuber befinden sich bereits 15 somalische Piraten in Frankreich in Haft.