Kritik am russischen Rechtssystem. Der Todesschütze soll ein junger Mann sein. Eine heiße Spur fehlt aber bisher.

Moskau/Berlin. Es sind ganz normale Moskauer Bürger, die Blume und Kerzen aufstellen, dort, wo die beiden unfassbaren Morde begangen wurden, mitten im Moskauer Stadtzentrum. Sie sind fassungslos. Auf offener Straße wurden der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow (34) und die Journalistin Anastasia Baburowa (25) am Montag erschossen. Jetzt sucht die Polizei nach einem jungen Mann, 1,80 Meter groß soll er sein. Eine heiße Spur fehlt aber. Ob es sich um einen Einzeltäter handelt oder es Hintermänner gibt, die mit der Arbeit von Markelow nicht einverstanden waren und deshalb einen Auftragsmörder bestellten, wissen die Ermittler bisher nicht.

Beobachter befürchten bereits, dass der Fall nicht aufgeklärt wird - wie bereits die Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja, die 2006 getötet wurde. Mit ihr hatte der Anwalt in der Vergangenheit zusammengearbeitet. "Wir sehen klare Parallelen zum Mordfall Politkowskaja. Die Themen, mit denen sie sich beschäftigten, sind in Russland lebensgefährlich", urteilt der Menschenrechtler Lew Ponomarjow. Doch der Druck aus dem Ausland wächst. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier reagierte bestürzt auf die Tat und forderte: "Die russischen Behörden müssen diese Mordfälle rasch aufklären, Täter und Drahtzieher ermitteln und bestrafen." Er mahnte: "Solche Gewalttaten gegen Anwälte und Journalisten, Festnahmen und Übergriffe schaffen ein Klima der Angst und drohen zivilgesellschaftliches Engagement zu untergraben." Die These unterstützt Jewgenija Albaz, Chefredakteurin der russischen Zeitschrift "The New Times". Charakteristisch sei sowohl im Mordfall Politkowskaja wie auch jetzt die öffentliche Hinrichtung des Opfers: "Es geht darum, den Menschen wieder Angst zu machen."

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, sieht das Ansehen Russlands in Gefahr. Dem Abendblatt sagte er: "Die russische Regierung kann nur verlieren, wenn im Ausland Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Landes bestehen." Doch von einem demokratischen Rechtsstaat könne so lange nicht gesprochen werden, wie politische Morde in Russland nicht aufgeklärt würden. Er glaubt, dass eine Änderung im Verhalten von Ministerpräsident Wladimir Putin und Präsident Dmitri Medwedew nur erzielt werden kann, indem an ihre Eitelkeit appelliert wird: Wer, wenn nicht sie, könnte eine Aufklärung der Verbrechen erreichen? Damit würde die Regierung bei ihrem Stolz gepackt: "Keiner gibt gerne zu, dass er dumm ist oder dass er keine Macht hat." Wie kein anderer Kremlchef zuvor hat Medwedew den "Rechtsnihilismus" im Land kritisiert und seine tatkräftige Unterstützung für Rechtssicherheit und unabhängige Richter verkündet.

Stanislaw Markelow gilt als Hauptziel des Anschlags. Er hatte sich durch seinen Einsatz für Oppositionelle sowie Opfer des Tschetschenien-Kriegs Feinde gemacht. Der zweifache Vater hatte kurz vor seiner Ermordung noch eine Pressekonferenz gegeben, in der er die vorzeitige Haftentlassung eines früheren Obersts der russischen Armee kritisierte. Dieser hatte im Jahr 2000 eine 18-jährige Tschetschenin vergewaltigt und ermordet. Markelow, der mit Amnesty International zusammengearbeitet hatte, vertrat die Familie der Getöteten. Die Journalistin Baburowa hatte für dieselbe kremlkritische Zeitung gearbeitet wie Politkowskaja, die "Nowaja Gaseta".