80 Jahre Republik: Zum Jubiläum von Atatürks Staatsgründung droht Konflikt um Islam.

Hamburg. "Friede daheim und Friede in der Welt" war der Leitspruch von Mustafa Kemal Atatürk. Heute vor 80 Jahren gründete der "Vater der Türken" - das bedeutet das Wort Atatürk - die türkische Republik. Das Osmanische Reich und der Sultan wurden abgelöst, das Land am Bosporus modernisiert und auf Westkurs getrimmt. Heute, acht Jahrzehnte später, befindet die Türkei sich wieder im Umbruch: Sie will Mitglied der Europäischen Union (EU) werden - und muss jetzt Tradition und Reformkurs unter einen Hut bringen. Wichtigster Pfeiler von Atatürks politischer Philosophie, dem Kemalismus, ist bis heute der Laizismus, die strikte Trennung von Staat und Religion. Streng wachen die mächtigen Generale als selbst ernannte Erben Atatürks und Hüter des Kemalismus über die Einhaltung, auch wenn der politische Einfluss der Militärs im Juli per Gesetz eingedämmt wurde. Aber seit dem Regierungsantritt von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan von der islamisch-konservativen AKP vor einem Jahr gibt es immer wieder Spannungen. Bisher gilt getreu nach Atatürk: Kopftuch bei Frauen und Vollbart bei Männern sind religiöse Symbole und damit im öffentlichen Dienst und in öffentlichen Institutionen verboten. Studenten, Lehrer, Beamte im Staatsdienst müssen sich daran halten. Mit einer Politik der kleinen Schritte will Premier Erdogan mit Hilfe seiner Parlamentsmehrheit dies ändern. Die Generale und Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer werden die Entwicklung genau beobachten. Vorsorglich hat Erdogan jedenfalls seine Töchter zum Studium und Kopftuchtragen in die USA geschickt. Präsident Sezer hat der Regierung denn auch unmissverständlich klar gemacht, was er von Frauen mit Kopftuch hält - nämlich nichts. Mit den Einladungen für den Jubiläumsempfang in Ankara zum heutigen Nationalfeiertag machte er deutlich, dass Kopftuch tragende Ehefrauen von Abgeordneten und Ministern beim Festakt fehl am Platze seien. Während die Abgeordneten der oppositionellen Republikanischen Volkspartei CHP, der einstigen Atatürk-Partei, ihre "unverdächtigen" Frauen mitbringen dürfen, erhielten fast alle AKP-Abgeordneten vorsorglich Einladungen, die allein auf ihren Namen ausgestellt wurden. Der größte innenpolitische Konflikt für die Türkei ist immer noch das Kurdenproblem. Zwar wurde den Kurden im Rahmen der jüngsten Reformen erlaubt, die eigene Sprache zu lernen oder auch TV- und Radioprogramme in eigener Sprache auszustrahlen. Aber der Staat kennt gemäß Atatürk nur das Volk der Türken und sieht nach wie vor das Schreckgespenst des Separatismus, zumal auch die Kurden im Nordirak nach dem Krieg den Traum vom eigenen Staat nicht aufgegeben haben. So gibt es immer wieder bürokratische Hindernisse: Der Beginn kurdischer Sprachkurse im Südosten der Türkei scheiterte vor kurzem daran, dass die Türen der Unterrichtsräume nach Meinung der Behörden fünf Zentimeter zu schmal waren. Achtung und Toleranz gegenüber Minderheiten ist aber eine der Bedingungen, die das Land für sein großes Ziel der EU-Mitgliedschaft erfüllen muss. Seit Dezember 1999 hat die Türkei Kandidatenstatus, spätestens Ende 2004 möchte Ankara ein Datum für den Beginn von Beitrittsverhandlungen hören. Am 5. November legt EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen den Fortschrittsbericht für die Türkei vor. Er sieht ein "immer noch gemischtes Bild". Politischen Reformen wie der Abschaffung der Todesstrafe stünden weiterhin Verstöße gegen die Menschenrechte sowie die ungelöste Zypern-Frage entgegen - Probleme, die die Republik weit über ihren 80. Geburtstag hinaus beschäftigen werden.