Paris. Frankreich steht vor einer politischen Premiere: Erstmals kann laut Hochrechnungen ein sozialistischer Staatschef mit Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments regieren. Die Parti Socialiste (PS) von Präsident François Hollande gewann danach am Sonntag klar die Wahlen zur Nationalversammlung. Direkte Verbündete eingerechnet, kommt die PS auf 312 bis 326 Sitze und stellt damit die absolute Mehrheit der Abgeordneten in der ersten Parlamentskammer. Bislang dominierte dort die konservative Partei UMP des abgewählten Präsidenten Nicolas Sarkozy. Sie erlitt schwere Verluste und muss den Hochrechnungen zufolge in die Opposition.

Der rechtsextreme Front National (FN) von Marine Le Pen schaffte demnach erstmals seit 1997 wieder den Einzug ins Parlament. Wegen des Mehrheitswahlsystems wird er jedoch trotz eines zweistelligen Prozentergebnisses auf Landesebene wohl nur ein bis vier Abgeordnete stellen.

Etwas mehr als einen Monat nach der Präsidentenwahl waren bei den Wahlen zur Nationalversammlung rund 46 Millionen Franzosen dazu aufgerufen, die 577 Sitze der ersten Parlamentskammer neu zu vergeben. Um bereits im ersten Wahlgang gewählt zu werden, brauchten die Kandidaten eine absolute Mehrheit in ihrem Wahlkreis. Dies schafften jedoch nur 36. In den anderen Wahlkreisen gab es an diesem Sonntag eine zweite Runde mit all jenen Kandidaten, die mindestens 12,5 Prozent der Stimmen der eingeschriebenen Wähler erhielten.

Die frühere sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal ist offenbar in La Rochelle bei der Parlamentswahl geschlagen worden. Damit dürfte der abtrünnige Sozialist Olivier Falorni zum Abgeordneten gewählt worden sein. Die Sozialisten brauchen daher auch einen neuen Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten, das Royal angestrebt hatte. Royal bleibt aber Präsidentin der Region Poitou-Charentes. Sie war langjährige Lebensgefährtin des jetzigen Präsidenten Hollande und hat mit ihm vier Kinder. Während des Wahlkampfes hatte die aktuelle First Lady, Valérie Trierweiler, per Twitter Stimmung für Royals Konkurrenten gemacht.

Hollande selbst hatte Royal im Wahlkampf unterstützt. Sie hatte ihren Konkurrenten Falorni vor laufenden TV-Kameras als Kandidaten des rechten Lagers bezeichnet. Für Royal ist es die dritte Niederlage in Folge. Nach der Schlappe im Präsidentschaftswahlkampf 2007 gegen Nicolas Sarkozy war sie auch bei den Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur ihrer Partei unterlegen - diesmal Hollande. Royal kündigte an, dass sie sich nicht aus der Politik zurückziehen werde. "Ich denke nach, ich schließe nichts aus", sagte sie. Der Parteivorsitzende der liberalen Modem-Partei hat bei den Parlamentswahlen offenbar seinen Abgeordnetensitz verloren. Nach verschiedenen Medienberichten hat es der eigenwillige Bauernsohn aus den Pyrenäen nicht mehr ins Parlament geschafft.

Die Wahlbeteiligung lag bei rund 46 Prozent, wie das Pariser Innenministerium am Nachmittag mitteilte - weniger als beim ersten Wahlgang und weniger als 2007. Das Institut CSA schätzte im Fernsehsender BFM die Beteiligung am Ende des Wahltags auf 56 Prozent.

Frankreichs neuer Präsident Hollande fordert unterdessen insgesamt rund 120 Milliarden Euro als Wachstumsspritze für Europas Wirtschaft. Die Sonntagszeitung "Le Journal du Dimanche" zitiert aus einem ihr vorliegenden elfseitigen Schreiben Hollandes an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere europäische Staatschefs mit den Worten: "Schnelle Wachstumsmaßnahmen in einem Volumen von 120 Milliarden Euro müssten ab Juni vom EU-Rat beschlossen werden."

Unter anderem sollte eine Finanztransaktionssteuer diese Maßnahmen finanzieren. Weitere Mittel sollten über den europäischen Strukturfonds und Projektbonds für Infrastrukturmaßnahmen mobilisiert werden.