Birmas Oppositionsführerin ist erstmals seit Jahrzehnten zu Besuch in Europa

Genf. Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat ihre Landsleute in Birma zur politischen Versöhnung aufgerufen. Der beginnende Prozess der Demokratisierung in der ehemaligen Militärdiktatur dürfe nicht durch Akte der Vergeltung belastet werden, sagte Suu Kyi gestern vor Delegierten der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf. Aung San Suu Kyi begann in der Schweiz ihre erste Europareise nach Jahrzehnten.

Auf die Frage, ob der unterdrückten muslimischen Minderheit der Rohingya das Bürgerrecht gegeben werden sollte, reagierte die Parlamentsabgeordnete ausweichend. Die Krise um die Minderheit müsse in einem politischen Rahmen und rechtsstaatlich gelöst werden, sagte sie. Bei Zusammenstößen zwischen Buddhisten und den Muslimen gab es in den vergangenen Tagen Tote und Verletzte. Die etwa 800 000 Rohingya in der Provinz Rakhine gelten offiziell als staatenlos. Sie sind seit Jahrzehnten schweren Diskriminierungen ausgesetzt, von der Verweigerung von Ausweispapieren bis hin zur Vertreibung. Über die Unruhe-Provinz wurde der Notstand verhängt.

Suu Kyi sagte mit Blick auf ihr persönliches Leid während der Junta-Herrschaft: "Es ist nicht meine Aufgabe, zu vergeben oder nicht zu vergeben." Sie forderte entschieden, einen funktionierenden Rechtsstaat in ihrem asiatischen Heimatland aufzubauen. "Kraftvolle demokratische Institutionen sind nötig", unterstrich die Vorsitzende der Nationalen Liga für Demokratie.

Die birmanische Oppositionsführerin hat bei Investoren und Regierungen für eine wirtschaftliche Unterstützung ihres Landes geworben. Die Aufhebung der Sanktionen gegen Birma seien eine einzigartige Gelegenheit, sagte Suu Kyi.

Suu Kyi war am Mittwoch zu ihrer Europareise durch die Schweiz, Norwegen, Irland, Frankreich und Großbritannien aufgebrochen. Während der Militärdiktatur in ihrem Heimatland stand Suu Kyi 15 Jahre unter Hausarrest. Sie kam im November 2010 frei und gewann im April dieses Jahres bei Nachwahlen einen Sitz im Parlament. Nach dem Stopp in Genf wird die 66-Jährige in Oslo erwartet, wo sie morgen - 23 Jahre nach der Verleihung des Friedensnobelpreises - die Auszeichnung persönlich entgegennehmen will. Ihren 67. Geburtstag will sie in der kommenden Woche mit ihren beiden in London lebenden Söhnen feiern.