Der Nato-Gipfel hat den Anfang vom Ende der Mission am Hindukusch eingeläutet. Viele Afghanen fürchten die Taliban - und bangen um ihr Leben.

Feisabad/Kundus. Vor vier Jahren hat Barjalai Hoschmand bei der Bundeswehr im nordostafghanischen Feisabad als Übersetzer angeheuert. Seine Familie verfrachtete der heute 30-Jährige wegen des neuen Jobs aus Kabul in die Provinzhauptstadt. Nun wird er Zeuge, wie das Feldlager sich auf die Schließung im Herbst vorbereitet und die Bundeswehr abzieht. Hoschmand gehört zu den Tausenden afghanischen Zivilisten, die für die Internationale Schutztruppe Isaf arbeiten. Der Abzug der Truppen, so befürchten viele von ihnen, könnte sie nicht nur ihre lukrativen Jobs kosten, sondern auch ihr Leben.

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Bis Ende 2014 will die Nato ihren Kampfeinsatz in Afghanistan beenden, das hat das Bündnis auf seinem Gipfel in Chicago bekräftigt. Danach werden zwar noch ausländische Soldaten am Hindukusch sein, doch ihre Zahl wird deutlich unter der heutigen liegen. Das gilt auch für die Zahl der Jobs für Einheimische. Nicht nur Übersetzer, auch Putzkräfte, Handwerker und Tagelöhner arbeiten für die Ausländer, die deutlich mehr zahlen, als außerhalb der Lagermauern üblich ist. Eine Übersicht darüber, wie viele Afghanen die etwa 50 Isaf-Truppensteller beschäftigen, gibt es nicht. Ihre Zahl geht aber in die Tausende.

Alleine in einem kleinen Lager wie Feisabad, in dem weniger als 200 deutsche Soldaten stationiert sind, stehen mehr als 160 afghanische Zivilisten auf der Lohnliste. Sie haben selbst in der verhältnismäßig sicheren Region Angst davor, was die Zukunft ihrem Land bringt. „Wenn die Bundeswehr und die Isaf von hier weggehen, dann wird das wie zur Taliban-Zeit“, sagt Hoschmand. „Unsere Sicherheitskräfte sind noch nicht so weit.“ Jeder in der Gegend wisse, dass er für die Deutschen gearbeitet habe. „Wenn die Taliban hierherkommen, habe ich keine Chance, in Afghanistan zu leben.“

Hoschmand hat erst einmal nichts zu befürchten. Der Übersetzer hat bereits die Zusage in der Tasche, nach der Schließung des Camps in Feisabad im Bundeswehr-Lager in Masar-i-Scharif weiterarbeiten zu können. Ein Aufschub, denn wie lange dort nach 2014 noch Übersetzer gebraucht werden, weiß niemand. Andere wie der 45 Jahre alte Hausmeister Said Ali wissen noch nicht, wie es weitergeht.

Auch Ali sorgt sich darum, dass seine Arbeit bei den Deutschen negative Konsequenzen haben könnte. Er habe Kranke aus seinem Dorf ins Feldlazarett der Bundeswehr gebracht. „Jetzt denken die Menschen draußen, weil ich das kann, bin ich ein ganz wichtiger Mann hier“, sagt er. „Deswegen habe ich richtig Angst.“ Sein 26 Jahre alter Kollege Abdul Dschamil, der als Elektriker für die Bundeswehr in Feisabad arbeitet, befürchtet ebenfalls eine Rückkehr der Taliban nach dem Nato-Abzug aus Afghanistan. „Die töten uns“, meint er.

„Ich glaube nicht, dass es so kommt“, sagt der deutsche Kommandeur in Feisabad, Oberstleutnant Manfred Wienecke. „Ich verstehe aber solche Befürchtungen natürlich auch.“ Die Bundeswehr prüfe für jeden afghanischen Mitarbeiter, ob es für ihn andere Verwendungen gebe. Auch diejenigen Einheimischen, für die keine neue Aufgabe gefunden werde, seien aber durch die Arbeit bei den Deutschen in der Regel für afghanische Verhältnisse hoch qualifiziert.

Während Angst vor den Taliban im relativ sicheren Feisabad eher abstrakt erscheint, ist sie im umkämpften Süden und Osten Afghanistans ausgesprochen real. Auch am Bundeswehr-Standort Kundus sind die Aufständischen eine konkrete Gefahr. Die Übersetzer in Kundus äußerten im Gespräch ihre Sorge, dass die Taliban nach dem Isaf-Abzug „in den nächsten ein bis zwei Monaten wieder das Regime übernehmen“, sagt Hauptfeldwebel Tobias G. Anders als früher würden die Übersetzer sich bei Einsätzen außerhalb des Lagers inzwischen vermummen, „so dass sie nicht wiedererkannt werden können“. Einige legten Geld zur Seite, um auszuwandern.

Ein Visum für Deutschland für verdiente Mitarbeiter würde sich auch Hoschmand wünschen. „Ich denke, das wäre richtig“, sagt der Übersetzer – er klingt aber nicht danach, als glaube er daran. Der Bundeswehr-Kommandeur in Kundus, Oberst Michael Mittelberg, fände das auch kontraproduktiv. „Wenn alle, die mit Isaf zusammengearbeitet haben, dem Land aus Angst den Rücken kehren, dann hielte ich das für ganz schlecht“, sagt er. Die Folge wäre ein „Brain Drain“ – eine Abwanderung qualifizierten Personals, das im Land gebraucht werde.

Hoschmand hat keinerlei Hoffnung für seine Heimat, wenn die ausländischen Truppen einmal abgezogen sind. „Wenn die weggehen, war alles umsonst“, meint er. „Ich sehe für Afghanistan keine Zukunft.“