Die Elfenbeinküste erlebte gerade einen blutigen Machtwechsel, die Lage bleibt gespannt. Ein Vater aus Hamburg bangt um seine Kinder

Hamburg. Es gab Momente in den vergangenen Wochen, da glaubte Alfons Philippe Gogoua nicht mehr daran, dass seine Kinder noch leben. Die Passbilder liegen wie zwei unwiderlegbare Tatbestände auf dem Glastisch in Gogouas Wohnzimmer. Die Gesichter von Ricardo und Sarah sind weich, der Blick geht nüchtern in die Kamera. Gogoua sitzt in seiner Wohnung in einem Sozialbau im Osdorfer Born. An der Wand hängt ein Flachbildschirm, in der Ecke steht ein Heimtrainer. Manchmal unterbricht Gogoua seine Sätze und schaut auf die Passbilder. Sarah und Ricardo leben. Doch die zwölf Jahre alten Zwillinge sind noch immer in der Elfenbeinküste, 5500 Kilometer entfernt.

In dem westafrikanischen Land herrscht angespannte Ruhe. Die Anhänger des gestürzten Machthabers Laurent Gbagbo und des gewählten und international anerkannten Präsidenten Alassane Ouattara sind noch immer verfeindet. Gerade erst mussten die Menschen in der Hauptstadt Abidjan vier Wochen lang Straßenkämpfe der verfeindeten Milizen aushalten. Laut Regierung massakrierten Gbagbo-treue Milizionäre erst kürzlich 100 Frauen, Männer und Kinder. Amnesty International zufolge sind allerdings auch Anhänger Ouattaras an Gräueltaten beteiligt gewesen. Insgesamt starben dabei 3000 Menschen. "Meine Kinder sind in großer Gefahr", sagt Gogoua.

Nachdem Ex-Präsident Gbagbo am 11. April von Ouattaras Truppen festgenommen wurde, vertrieben Ouattaras Milizen seine letzten Anhänger aus ihrer Hochburg, dem Stadtteil Yopougon in Abidjan. Danach entdeckte das Rote Kreuz dort Dutzende Leichen. Es ist der Ort, in dem Sarah und Ricardo lebten.

Alfons Philippe Gogoua sitzt vor seinem Computer in seiner Osdorfer Wohnung und klickt auf Fotos im Internet. Sie zeigen Mitarbeiter des Roten Kreuzes, wie sie über verkohlte Leichen in Yopougon steigen. Nach allem, was Gogoua von Freunden in der Heimat und aus den Medien weiß, ist er sich sicher: "Die Rebellen von Ouattara haben die Menschen ohne Rücksicht umgebracht. Und sie werden es wieder tun." Die Stimme des Ivorers wird laut, er spricht fließend Deutsch, doch in diesen Augenblicken sucht der Vater nach Worten für die Angst um seine Kinder.

Von Freunden erfuhr er auch, was seine Kinder erlebt hatten: Während der Kämpfe hätten seine Kinder mit angesehen, wie Milizen Ouattaras den Mann einer Tante in dessen Wohnung aufsuchten und ihm die Kehle durchschnitten. Sarah und Ricardo flohen zu einem Pastor in der Nachbarschaft. Zehn Tage lang wusste der Vater nicht, wo seine Kinder sind.

Gogoua selbst ist bereits vor 13 Jahren aus Abidjan geflohen. Ein guter Freund war Koch auf einem Containerschiff und schmuggelte ihn nach Europa, erzählt er. Zwei Wochen versteckte er sich auf der Toilette der Kombüse. Erst 2009 bekam seine Frau ein Visum für Deutschland. Die Kinder aber mussten bleiben - denn Gogoua verdient als Reinigungskraft nicht genug Lebensunterhalt, um den Nachzug der Familie zu beantragen. Die Zwillinge lebten lange bei der Tante der Gogouas. Doch sie erkrankte an Krebs. Dann brachen die Kämpfe aus.

Mithilfe des Hamburger Rechtsanwalts Georg Debler gelang es, die Kinder ausfindig zu machen und in die Obhut des deutschen Botschafters zu bringen. Sie seien traumatisiert, habe der Botschafter berichtet. Bisher verhindert Paragraf 5 des Aufenthaltsgesetzes, dass Gogouas Kinder nach Hamburg können. Eltern müssen in der Regel den Lebensunterhalt für den Nachzug selbst tragen können. Für die Gogouas sind das etwa 1600 Euro Nettogehalt im Monat - da richtet auch der 400-Euro-Job der Mutter nicht viel aus. 2009 hatte die Familie einen Nachzug der Kinder beantragt. Er wurde abgelehnt. In knapp 43 000 Fällen entschieden deutsche Einwanderungsbeamte 2009 anders: Ehepartner und Kinder bekamen Visa und konnten zu ihren Angehörigen nach Deutschland reisen.

Normalerweise würde die Geschichte der Familie Gogoua jetzt von langwierigen Briefwechseln mit deutschen Behörden und von zähem Ringen um die Deutung von Paragrafen erzählen. Doch wenige Tage nach dem Besuch in Osdorf nimmt der Kampf um die Kinder von Alfons Philippe Gogoua eine schreckliche Wende. Die zwölf Jahre alte Sarah sei im zweiten Monat schwanger, habe der Botschafter der Familie mitgeteilt. Vielleicht vergewaltigt von Milizen, vielleicht schwanger von einem Nachbarn. "Wenn ich Sarah frage, was passiert ist, fängt sie nur an zu weinen", sagt der Ivorer. Auch der Botschafter wisse nichts Genaues. Aber der Vater soll sofort nach Abidjan kommen, um sich um die Kinder zu kümmern. Es geht jetzt auch um Sarahs Gesundheit.

Zwei Tage lange ringt der Vater mit der Entscheidung. Er gehört zur Ethnie der Bété wie auch der gestürzte Präsident Gbagbo. "Wenn ich zurückkehre, nehmen die Soldaten Ouattaras mich sofort fest", sagt er. Eine Narbe an seinem Fuß so groß wie eine Zwei-Euro-Münze ist die bittere Erinnerung an seine Begegnung mit Anhängern von Ouattara bei Wahlen Mitte der 1990er-Jahre. "Aber wenn ich meine Kinder so zu uns holen kann, fliege ich."

Am vergangenen Sonnabend um 15.25 Uhr ist der Vater gestartet, Lufthansa-Flug LH2077 nach Abidjan. Er hat Hosen und T-Shirts für seine Kinder eingepackt. Die Bibel ist in seiner Tasche und das Rückflugticket. Am Wochenende will Gogoua wieder in Hamburg sein. Mit seinen Kindern. Für Ricardo und Sarah hat er noch keinen Flug gebucht.