Zahlreiche Tote bei Terrorangriff auf Marinebasis. Islamisten dementieren Tod ihres Anführers Mullah Omar

Hamburg/Islamabad. Es war nicht nur ein Racheakt für die Tötung von Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden - es war eine totale Demütigung für die Streitkräfte Pakistans. Einem Kommando der pakistanischen Taliban ist es gelungen, in eine schwer bewachte Marinebasis einzudringen, mehr als ein Dutzend Menschen zu töten und mehrere Flugzeuge zu zerstören. Nach der spektakulären Aktion in einer Hochsicherheitszone des Militärs ist auch die Sorge um die Sicherheit des auf rund 80 Sprengköpfe geschätzten pakistanischen Atomarsenals weiter gewachsen.

Zehn bis 15 schwer bewaffnete Kämpfer der radikalislamischen Organisation Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) drangen mit Sturmgewehren, Granatwerfern und Handgranaten in den Stützpunkt Mehran in der südpakistanischen 18-Millionen-Metropole Karatschi ein. Sie teilten sich sofort in mehrere Gruppen auf und eröffneten das Feuer auf die Soldaten. Mindestens 13 Militärs und ein Feuerwehrmann starben im Kugelhagel. Die Taliban-Terroristen schossen dann Granaten auf die in den Hangars abgestellten Flugzeuge ab. Zwei Überwachungsflugzeuge des Typs PC-3 Orion sowie ein Hubschrauber gingen in Flammen auf. Die pro Stück rund 36 Millionen Dollar teuren Orion waren der pakistanischen Armee erst im Juni 2010 von den USA zur Verfügung gestellt worden.

Ein 230 Mann starkes Sonderkommando lieferte den Taliban ein 15-stündiges Gefecht, bis die Lage auf dem Stützpunkt unter Kontrolle war.

Taliban-Sprecher Ihsanullah Ihsan erklärte, es handle sich um Vergeltung für die Tötung Osama Bin Ladens. "Wir werden weiter solche Angriffe ausführen", drohte der Sprecher.

Der Terrorangriff bringt die pakistanische Armee weiter in Bedrängnis. Sie galt bislang in der von Zerfall bedrohten Atommacht als effektiver, stabilisierender Faktor. Die Tatsache jedoch, dass amerikanische Spezialeinheiten am 2. Mai mit mehreren Hubschraubern unbemerkt tief in pakistanisches Territorium eindringen und den Al-Qaida-Führer in der Garnisonsstadt Abbottabad erschießen konnten, hat das Ansehen der Armee schwer beschädigt. Nach der gestrigen Attacke sagte der pensionierte General Talat Massud: "Jeder wird fragen, wie es möglich war, dass ein paar Militante in eine so schwer gesicherte Einrichtung eindringen konnten. Auf der Seite der pakistanischen Sicherheitskräfte herrscht komplette Hilflosigkeit. Die Militanten können zuschlagen, wo sie wollen."

Am Freitag vorletzter Woche hatten Taliban-Attentäter im Nordwesten des Landes mehr als 80 Rekruten vor einer Kaserne der paramilitärischen Grenzpolizei getötet.

Die pakistanischen Taliban wollen mit der Terror-Serie offenbar ihre Schlagkraft nach dem Tod Bin Ladens unter Beweis stellen. Zudem wollen sie die Armee für ihre Kooperation mit den US-Streitkräften beim Kampf gegen den Terror bestrafen. Sie erklärten gegenüber "Spiegel Online", man werde Pakistan in nächster Zeit mit Angriffen überziehen. "Wir erklären Pakistan den Krieg. Dies ist nur der Auftakt. Pakistan ist unser Feind Nummer eins - erst danach kommen die USA." Militärexperten kamen zu dem Schluss, dass eine so gut koordinierte Operation dieses Maßstabs die Kooperation von Soldaten innerhalb der Basis voraussetze. Ein ehemaliger Marineoffizier sagte dem pakistanischen Sender ARY News, der Angriff sei offenbar anhand einer genauen Karte der Basis geplant worden. Wie das amerikanische "Time Magazine" berichtete, hatte sich nach früheren Terror-Angriffen auf das pakistanische Militär - wie der Sturm auf das Armee-Hauptquartier in Rawalpindi im Oktober 2009 mit 19 Toten - herausgestellt, dass die Taliban Hilfe von radikalislamistischen Soldaten vor Ort hatten.

Die pakistanischen Taliban haben ihren Hauptsitz in der Stadt Quetta. Wie die afghanischen Taliban haben sie ihrem gemeinsamen Führer Mullah Omar Treue geschworen. Afghanistans Taliban dementierten gestern heftig Berichte des afghanischen Fernsehsenders Tolo, nach denen Mullah Omar tot sei. Der afghanische Geheimdienst NDS berichtete, Omar sei seit etwa fünf Tagen aus Quetta verschwunden. Aus Kreisen des NDS hieß es auch, Mullah Omar sei von Agenten des pakistanischen Geheimdienstes ISI erschossen worden. Der ISI bestritt diese Angaben.