Gruppe von A l-Qaida-Führern benannte den Ägypter zum Interimsanführer des Terrornetzwerks. Der Machtkampf ist damit eröffnet

Hamburg. Gut zwei Wochen nach dem Tod des Al-Qaida-Führers Osama Bin Laden in Pakistan ist der Machtkampf innerhalb des Terrornetzwerks in vollem Gange. Der US-Sender CNN berichtete gestern unter Berufung auf einen Aussteiger aus dem Terroristenmilieu, eine Gruppe von sechs bis acht Al-Qaida-Kommandeuren in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion habe den Ägypter Mohammed Ibrahim Makkawi zu ihrem vorläufigen Anführer gewählt.

Makkawi, der den Kampfnamen Saif al-Adel (Schwert der Gerechtigkeit) führt, ist ein ehemaliger Offizier einer Spezialeinheit der ägyptischen Armee. Er nimmt schon seit Jahren eine führende Position bei al-Qaida ein und gilt unter anderem als Drahtzieher der schweren Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 mit insgesamt 224 Toten. Vermutlich war der heute etwa 50 Jahre alte Mann auch schon an der Ermordung des ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat 1981 beteiligt.

Anschließend kämpfte Saif al-Adel in Afghanistan gegen die sowjetische Armee. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 floh er in den Iran.

Von dort aus soll er 2003 eine blutige Terroroffensive in Saudi-Arabien befohlen haben. Die Iraner ließen ihn schließlich nach Pakistan ausreisen. Saif al-Adel trainierte Kämpfer von al-Qaida und des ägyptischen Islamischen Dschihad in Afghanistan, Pakistan, im Sudan und in Somalia.

Dass Saif al-Adel nicht von der Majlis al-Shura, dem parlamentsähnlichen Führungsrat von al-Qaida, ernannt wurde, sondern nur von einer kleinen Gruppe regionaler Kommandeure, dürfte Probleme nach sich ziehen. Nach der Aufspürung und Tötung Bin Ladens zögern die Al-Qaida-Fürsten, eine große Ratsversammlung einzuberufen.

Den meisten gilt der langjährige Stellvertreter Bin Ladens, der Chirurg Ayman al-Zawahiri, als wahrscheinlicher Nachfolger des "Emirs". Terroraussteiger Noman Benotman, der einst die Libysche Islamische Kampfgruppe (LIFG), die sich aber inzwischen von al-Qaida losgesagt hat, und der immer noch immer über exzellente Kontakte verfügt, nennt drei Gründe, warum der Nachfolger jetzt ausgerufen wurde.

Erstens sei die weltweite Dschihadisten-Szene allmählich unruhig geworden, da noch immer kein neuer Führer bestimmt worden sei.

Zweitens habe die kleine Gruppe der Führer im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet testen wollen, wie ein Al-Qaida-Führer akzeptiert werde, der nicht von der Arabischen Halbinsel stamme. Osama Bin Ladens Familie stammt ursprünglich aus dem Jemen; er selber aus Saudi-Arabien, wo die den Muslimen heiligen Städte Mekka und Medina stehen. Es gibt eine Gruppe innerhalb von al-Qaida, die meint, ihr Führer solle aus dem Land des Propheten stammen.

Drittens könne al-Qaida nun damit beginnen, bereits die traditionellen Treueschwüre (Baya) von den Filialen wie al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, al-Qaida im Irak oder al-Qaida im Islamischen Maghreb für die neue Führerschaft einzuholen. Dass Saif al-Adel am Ende dauerhaft an der Spitze stehen wird, ist allerdings keineswegs gesichert. Die Gruppen im Irak und im Jemen sollen sich längst für Ayman al-Zawahiri ausgesprochen haben - der zwar auch Ägypter ist, aber lange Zeit der engste Vertraute und Vize Bin Ladens war. Saif al-Adel ist ein Militärkommandeur, kein Ideologe. Bin Laden war beides; Ayman al-Zawahiri war sein Stratege, besitzt allerdings kaum Charisma. Ohnehin ist Saif al-Adel nur als Interimsführer vorgesehen - zu einem späteren Zeitpunkt soll dann die komplette Führungsebene von al-Qaida einen neuen Mann wählen. Wer es auch immer sein wird - der neue Führer des global aktiven Terrornetzwerks hat allerdings ein gewaltiges Problem: Beim Sturm auf die Bin-Laden-Residenz im pakistanischen Abbottabad fielen den amerikanischen Spezialeinheiten der Navy SEALs Datenmengen in die Hände, die dem Umfang einer kleinen Universitätsbibliothek entsprechen sollen. Al-Qaida weiß derzeit nicht, wie weit die Organisation durch diese Informationen bereits kompromittiert ist.

Für die Taliban eröffnet der Tod von Osama Bin Laden die Chance auf eine Kursänderung - und damit auf eine Beteiligung an der Macht in Afghanistan. Wie CNN berichtete, hatte Bin Laden noch vor den Anschlägen vom 11. September 2001 dem obersten Taliban-Führer Mullah Omar einen Treueschwur als dem "Kommandeur der Gläubigen" geleistet und damit al-Qaida und Taliban zusammengeschmiedet. Zumindest theoretisch hätte Omar nun die Möglichkeit, bei Bin Ladens Nachfolger auf einen solchen persönlichen Treueschwur zu verzichten. Damit würde er die Forderung der US-Regierung an die Taliban erfüllen, sich von al-Qaida loszusagen.