IWF-Chef droht neben einer langen Haftstrafe und dem Karriereende möglicherweise auch eine Aids-Erkrankung

Washington/New York. Für den wegen Verdachts auf versuchte Vergewaltigung inhaftierten IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn wird die Lage immer prekärer. Sein mutmaßliches Opfer hat möglicherweise Aids und könnte ihn mit dem HI-Virus angesteckt haben. Zudem gerät der 62-Jährige zunehmend unter Druck, seinen Spitzenposten beim Internationalen Währungsfonds (IWF) aufzugeben.

Das 32 Jahre alte Zimmermädchen, das Strauss-Kahn am Wochenende in einem New Yorker Hotelzimmer angegriffen haben soll, lebe seit Jahren in Häusern, deren Wohnungen ausschließlich an HIV-Positive vermietet würden, meldete das Boulevardblatt "New York Post" gestern.

"Dominique Strauss-Kahn hat möglicherweise mehr zu befürchten als nur eine Gefängnisstrafe", schrieb die Zeitung mit Blick auf eine mögliche Ansteckung. Wegen der Vertraulichkeit ärztlicher Akten sei aber unklar, ob die Frau infiziert sei.

Wenn die Boulevardzeitung korrekt berichtet, lebt die Frau mit dem Vornamen Nafissatou (nur in der französischen Presse wird ihr voller Name genannt) seit Januar mit ihrer neunjährigen Tochter in einem vierstöckigen Haus im Stadtteil Bronx. Auch zuvor habe sie in einem Haus einer Unterstützerorganisation gelebt, das ausschließlich HIV-Infizierten und Aids-Kranken Zuflucht biete.

Das mutmaßliche Opfer sagte überraschend bereits gestern vor der Grand Jury eines Gerichts in New York aus. Geplant war dies ursprünglich erst für morgen. Die Jury entscheidet, ob es zu einem Prozess kommt. Der Fernsehsender CNN berichtete, die 32-Jährige sei abgeschirmt von der Öffentlichkeit in New York vernommen worden. Über ihre Aussage vor der Kammer wurde zunächst nichts bekannt.

Obwohl die Vorwürfe gegen Strauss-Kahn noch unbewiesen sind, scheint die Karriere des Managers unmittelbar vor dem Aus zu stehen. Die USA - wichtigstes IWF-Geberland - rückten öffentlich von dem Franzosen ab. Finanzminister Timothy Geithner forderte eine rasche Übergangslösung für die IWF-Führung. Strauss-Kahn sei "offensichtlich nicht in der Lage", den IWF zu lenken, sagte Timothy Geithner in New York.

Das mutmaßliche Opfer ließ inzwischen mitteilen, im Prozess aussagen zu wollen. Dazu mag auch die jüngste Strategie von Strauss-Kahns Verteidigung beigetragen haben, wonach die junge Frau die Avancen des IWF-Chefs geduldet oder gar gewünscht habe.

Ihr Anwalt Jeffrey Shapiro sagte, es sei fraglos "kein einvernehmlicher Sex gewesen. Sie wurde angegriffen, und sie musste fliehen." Nun sei seine Mandantin im doppelten Sinne das Opfer, da sie von Reportern verfolgt werde und weder in ihre Wohnung noch zu ihrer Arbeit zurückkehren könne. Auch der Bruder der Frau hält es für ausgeschlossen, dass seine Schwester dem IWF-Chef eine Falle stellen wollte. "Sie ist praktizierende Muslimin und trägt Kopftuch", sagte der 42-Jährige in einem Interview der französischen Tageszeitung "Le Parisien". Von Politik habe sie nicht die geringste Ahnung. "Sie ist eine ehrenwerte und anständige Frau, die hart arbeitet, um ihre Tochter großzuziehen", betonte der Bruder weiter, der nach Angaben der Zeitung ein Restaurant mit afrikanischer Küche im New Yorker Stadtteil Harlem betreibt. Seine Schwester stehe immer noch unter Schock. "Sie weint viel."

In den USA, wo die Affäre anfangs wenig beachtet wurde, formieren sich inzwischen zunehmend Stimmen, die das amerikanische Rechtssystem verteidigen. "Es ist eine inspirierende Geschichte über Amerika, wo ein Zimmermädchen Würde und Gehör findet, wenn sie einem der mächtigsten Männer der Welt vorwirft, sich wie ein Raubtier zu verhalten", schreibt die einflussreiche linksliberale "New York Times"-Kolumnistin Maureen Dowd.

Zu den prominentesten Verteidigern des amerikanischen Rechtsempfindens zählt auch New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg. Es sei in der Tat "demütigend", wenn ein Verdächtiger im "perp walk", dem ritualhaften öffentlichen Gang des Festgenommenen in Handschellen von der Zelle zum Haftrichter, an den Pranger gestellt würde. "Aber wenn man diesen Gang nicht tun will, darf man kein Verbrechen begehen. In unserem Rechtssystem soll die Öffentlichkeit Verdächtige eben sehen." Allerdings räumte Bloomberg gleichzeitig ein, dass es hart sei, wenn sich Verdächtige als unschuldig herausstellten. Dann müsse sich die Gesellschaft fragen, ob sie mit einer gewissen Vorverurteilung nicht zu weit gegangen sei.

Diese Auffassung mag man sonderbar oder auch widersprüchlich finden, und in Europa ist ein solcher Spießrutenlauf vor der breiten Öffentlichkeit verpönt. Und nicht minder abscheulich könnte sein, was vermutlich nach der Anklageerhebung gegen Dominique Strauss-Kahn durch die Grand Jury am Freitag beginnt: die Diskreditierung des Opfers durch die Verteidiger des Angeklagten mit allen Tricks und Gemeinheiten.