Wie die Sache ausgeht, erzählte bereits Tom Wolfe in den 80ern

Selten bekommt man die Gelegenheit, Hegel und Marx zu korrigieren. Der eine hatte ja bekanntlich geschrieben, dass alle weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Der andere ergänzte: das eine Mal als Tragödie, das andere als Farce. Diese Woche hat deutlich gezeigt: Manchmal ereignen sie sich aber zuerst nur in einem Roman oder Film und später dann im Leben. Viele Menschen fühlen sich von der Affäre um den IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn geradezu penetrant an Tom Wolfes Roman "Fegefeuer der Eitelkeiten" erinnert.

Hier wie dort geht es um einen Banker auf dem Gipfel seiner Karriere in New York, der völlig überraschend eines Verbrechens angeklagt wird, in die Mühlen von Justiz und Medien gerät und obendrein zum Spielball politischer Ranküne wird. Beide Male ist das Opfer schwarz und unterprivilegiert, ein größerer Abstand zur Sphäre des Täters ist nicht denkbar. Außerdem wird die Spannung zwischen Schwarzen und Juden in New York in beiden Fällen zum Treibstoff der Emotionen - zwar ist Sherman McCoy anders als Strauss-Kahn kein Jude, aber der jüdische Bürgermeister will ihn opfern, um den antisemitischen Verfolgungswahn schwarzer Wähler zu dämpfen. Zur Seite steht ihm ein ebenfalls jüdischer Staatsanwalt.

Sowohl im Roman als auch im Leben ist der John F. Kennedy Airport der Ort, an dem die Katastrophe ihren Lauf nimmt: Strauss-Kahn wurde hier aus einer Air-France-Maschine heraus verhaftet. McCoy verfährt sich, als er seine Geliebte vom Flughafen abholt, und überrollt einen jungen Mann in der Bronx mit seinem Wagen. Im Buch wie im Leben nutzen die Medien den Luxuslebensstil des Bankers, um Stimmung zu machen: Bei Strauss-Kahn sind es seine 3000-Dollar-Hotel-Suite und sein Erster-Klasse-Flug, bei McCoy sein Mercedes und seine Park-Avenue-Wohnung.

Frappierend ähneln sich auch die Machenschaften der sehr auf Show bedachten Justizbehörden und die Art, wie sie offenbar die Presse mit gezielten Informationen füttern. Es gibt Szenen im Buch, die den Vorgängen der letzten Tage auf gespenstische Weise gleichen: Wie Sherman McCoy wurde Dominique Strauss-Kahn vor dem Criminal Court Building in der Centre Street, Hausnummer 100, von einem Mob von Fotografen und Kameraleuten erwartet. Einer von McCoys Anwälten nennt seine Festnahme einen "Circus Arrest" - eine Showverhaftung. Einen besseren Ausdruck für das, was Strauss-Kahn geschehen ist, wird man wohl kaum finden.

Auch die Beschreibung der Nacht, die McCoy in einer Arrestzelle zwischen Mördern und Drogendealern verbringt, dürfte dem, was der IWF-Chef erlebt hat, nahekommen. Wer das Buch gelesen hat, könnte schwören, auch McCoy habe auf jener Bank im Gerichtsgebäude gesessen, auf der Strauss-Kahn gestern stundenlang warten musste, bis die beiden Allerweltskriminellen, die vor ihm dran waren, ihre Verhandlungen beendet hatten und er an der Reihe war.

Natürlich gleicht nicht jedes Detail aus dem Buch dem aktuellen Fall: Sherman McCoy war ein Musteramerikaner, Strauss-Kahn dagegen gehört einer Nation an, von der die Amerikaner geradezu besessen sind. Was im Grunde noch deutlicher macht, dass die Regeln dieser Partie vom Status der Figuren bestimmt werden. Trostlos ist, wie wenig sich daran seit 1987, dem Erscheinungsjahr von "Fegefeuer der Eitelkeiten", geändert hat. Wir erleben ja zurzeit an vielen Stellen ein gespenstisches 80er-Revival: Eine schwarz-gelbe Koalition regiert, Atomkraftwerke explodieren und Gaddafi wird in Tripolis bombardiert - das alles kennt man von damals. Und auch der kriminelle Banker oder Börsenmakler war eine Obsession des Jahrzehnts, ganz abgesehen davon, dass der Begriff "Banker" (ausgesprochen: Bänker) damals überhaupt erst in die deutsche Sprache eindrang. Außer Tom Wolfes Roman haben noch andere Schlüsselwerke der 80er eine solche Figur im Zentrum - John Landis' Filmkomödie "Die Glücksritter" (1983), Oliver Stones "Wall Street" (1987) und Bret Easton Ellis' Roman "American Psycho" (1991).

Für Strauss-Kahn symbolisieren die genannten fiktiven Banker und Börsianer drei mögliche Ausgänge der Affäre. Am wahrscheinlichsten erscheint, dass er endet wie Sherman McCoy. Der wurde zwar nicht verurteilt, aber am Ende waren seine Karriere und sein gesellschaftlicher Status trotzdem ruiniert.