Bei Anschlag der Radikalislamisten in Pakistan sterben mindestens 80 Polizisten

Hamburg. Die Stimmung unter den jungen pakistanischen Grenzpolizisten muss recht ausgelassen gewesen sein - gerade hatten sie erfolgreich einen Lehrgang im Ausbildungszentrum in Fort Shabqadar im Nordwesten des Landes absolviert; ein freies Wochenende daheim wartete auf sie. Vor dem Haupttor luden gerade viele der Rekruten ihr Gepäck in kleine Busse, als sich ein Motorrad mit hoher Geschwindigkeit näherte. Der Fahrer raste mitten zwischen die Polizisten und zündete eine mit Nägeln gefüllte Bombenweste. "Es gab eine große Explosion", berichtete ein in der Nähe ansässiger Gemüsehändler. "Ich sah Rauch, Blut und überall Körperteile." Ein verwundeter Rekrut namens Ahmed Ali wurde von der britischen BBC zitiert: "Ich saß im Minibus und wartete auf meine Kameraden. Wir waren in Zivil und wir waren glücklich, dass wir bald unsere Familien sehen würden. Ich hörte jemanden rufen 'Gott ist groß!' und dann einen gewaltigen Knall. Irgendetwas traf mich in den Rücken." Als andere Polizisten aus der Kaserne herbeieilten, um den Opfern zu helfen, zündete ein zweiter Selbstmordattentäter auf einem Motorrad seinen Sprengsatz. Es ist eine typische Taktik radikalislamischer Terroristen, mit einer zweiten Bombe die Helfer zu treffen. Mindestens 80 Menschen wurden bei dem Doppelanschlag getötet, 140 weitere Menschen verletzt, mindestens zehn Busse zerstört.

Zu dem Doppelanschlag im Distrikt Charsadda, 30 Kilometer nördlich der Stadt Peschawar - dem bislang verheerendsten Anschlag in Pakistan in diesem Jahr - bekannten sich die pakistanischen Taliban. "Das war der erste Racheakt für den Märtyrertod von Osama Bin Laden", erklärte ein Sprecher der radikalislamischen Miliz und fügte hinzu: "Es wird mehr davon geben."

Shabqadar liegt an der Grenze zu Afghanistan. Die Grenzpolizisten der paramilitärischen "Frontier Constabulary" (FC) stehen im direkten Kampf mit den Taliban und dem mit ihnen verbündeten Terrornetzwerk al-Qaida. Nachdem amerikanische Elitesoldaten Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden vor knapp zwei Wochen in seinem festungsartigen Versteck in der Stadt Abbottabad nahe der Hauptstadt Islamabad aufgespürt und eliminiert hatten, drohten al-Qaida und die pakistanischen Taliban der Gruppe TTP (Tehrik-e-Taliban Pakistan) mit Vergeltungsanschlägen. Pakistans Sicherheitskräfte hätten sich "mit den Amerikanern verbündet", sagte ein Sprecher namens Ehsanullah Ehsan. Der Doppelanschlag sei zugleich eine Rache für die "Grausamkeiten der pakistanischen Sicherheitskräfte in den Stammesgebieten". Der Sprecher warnte die Pakistaner, "ihren Kindern zu erlauben, zur Arme oder den paramilitärischen Truppen zu gehen". Die Stammesgebiete im Nordwesten Pakistans an der Grenze zu Afghanistan in einer Größe von mehr als 27 000 Quadratkilometern sind zwar offiziell unter Bundesverwaltung; tatsächlich aber weitgehend unter Kontrolle von Taliban und al-Qaida. Die meisten der 4300 Opfer von Bombenanschlägen in Pakistan im vergangenen Jahr starben in diesen zerklüfteten Gebieten.

Dass die Taliban sich Rekruten der Grenzpolizei als Opfer aussuchten, die noch gar nicht im Einsatz waren und mit dem Tod Bin Ladens nichts zu tun hatten, zeigt zwar, dass die militanten Islamisten bemüht sind, möglichst rasch einen Beweis für ihre Handlungsfähigkeit auch nach dem Tod ihres Führers zu erbringen. Aber auch, dass sie logistisch nicht in der Lage sind, kurzfristig einen wirkungsvollen Anschlag auf das US-Militär oder die pakistanische Armee auszuführen. Taliban-Sprecher Ehsan behauptete, die pakistanischen Sicherheitskräfte hätten Bin Laden an die USA verraten. Doch dass sie genau dies nicht getan haben, belastet derzeit die Beziehungen zwischen Washington und Islamabad erheblich.