Südkorea macht Pjöngjang offiziell für Versenkung der Korvette “Cheonan“ im März verantwortlich

Hamburg/Seoul. Es war zunächst eine ganz normale Patrouillenfahrt, die die südkoreanische Korvette "Cheonan" am 26. März entlang der umstrittenen innerkoreanischen Grenze im Gelben Meer führte. Plötzlich stieg eine gewaltige Wassersäule in die Luft; das 1200-Tonnen-Kriegsschiff bäumte sich auf und zerbrach in zwei Teile. 46 südkoreanische Seeleute wurden bei der Explosion getötet oder versanken mit der "Cheonan" in den Fluten. 58 Mann konnten gerettet werden.

Die plausibelste Schuldzuweisung lag auf der Hand: Angesichts des Umstandes, dass sich Nord- und Südkorea seit dem Waffenstillstand von 1953 formell noch immer im Kriegszustand befinden, und angesichts der häufigen Provokationen der Nordkoreaner in diesem Seegebiet konnte angenommen werden, dass ein nordkoreanisches U-Boot einen Torpedo abgefeuert hatte.

Doch an der gefährlichsten Grenze der Welt können voreilige Erklärungen zu einer Katastrophe führen: Nordkorea hat mit fast 1,1 Millionen Soldaten eine der größten Armeen der Welt, Südkorea fast 700 000 Mann unter Waffen. Hinzu kommen rund 30 000 Soldaten der verbündeten Amerikaner. Das bizarre Regime unter seinem Führer Kim Jong-il wird zudem verdächtigt, einige Atomsprengköpfe zu besitzen. Nordkorea ist eine von der Außenwelt fast völlig abgeschottete stalinistische Diktatur. Allenfalls China hat einen begrenzten Einfluss auf die Regierung in Pjöngjang. Im vergangenen Mai hatte Nordkorea damit gedroht, jedes amerikanische oder südkoreanische Schiff zu versenken, das sich anschicke, für Nordkorea bestimmte Schiffe nach Massenvernichtungsmitteln zu durchsuchen. Dann werde sich die koreanische Halbinsel wieder im Krieg befinden. Seit März hat Nordkorea vehement bestritten, irgendetwas mit der Versenkung der Korvette zu tun zu haben, und stieß Drohungen für den Fall einer Schuldzuweisung aus.

Vor diesem brisanten Hintergrund nahm sich die Regierung in Seoul sehr viel Zeit, eine multinationale Kommission den Untergang der "Cheonan" untersuchen zu lassen - die Korvette war im Gelben Meer geborgen und zur Marinebasis Pyeongtaek gebracht worden. Gestern nun trat Außenminister Yu Myung-hwan vor die Presse und sagte, aufgrund der Ergebnisse sei es "offensichtlich", dass Nordkorea für den Vorfall verantwortlich sei. Es gebe nun genügend Beweise, um den Uno-Sicherheitsrat einzuschalten. So fanden die Ermittler Sprengstoffrückstände sowie Teile eines Torpedos. Ein Propeller-Rest weise die gleiche Bauart auf wie der eines nordkoreanischen Torpedos, der als Irrläufer vor sieben Jahren von den Südkoreanern hatte geborgen werden können. Zudem fand sich darauf eine Seriennummer, die in einer für Nordkorea typischen Weise geschrieben sei.

Ein US-Regierungsbeamter sagte, die Beweislast gegen Nordkorea sei "erdrückend". Die offizielle Vorstellung der Ergebnisse ist für heute angesetzt. "Wir werden Nordkorea eines Torpedoangriffs beschuldigen", sagte ein südkoreanischer Beamter. US-Außenministerin Hillary Clinton traf sich mit südkoreanischen Diplomaten zu einem Krisengespräch. Die Regierung in Seoul hat "entschiedene Maßnahmen" gegen Pjöngjang gefordert - einschließlich Wirtschaftssanktionen. US-Präsident Barack Obama hat dem südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-bak die Unterstützung der USA zugesagt.