Zwei deutsche Mädchen befreit, Bruder angeblich tot, weiter bangen um die Eltern

Hamburg/Sanaa. Noch ist unklar, wie Lydia und Anna freigekommen sind - nach elf langen Monaten in der Hand von Entführern im gebirgigen Nordwesten des Jemen. Die beiden sechs und vier Jahre alten Mädchen aus Sachsen sind jedenfalls am Leben und nach Angaben der saudischen Regierung in "relativ gutem Gesundheitszustand". Heute sollen sie bereits nach Deutschland zurückkehren.

Der Sprecher des Innenministeriums in Riad, General Mansur al-Turki, erklärte, eine saudische Spezialeinheit habe die Kinder gerettet.

Lydia und Anna gehörten zu einer fünfköpfigen deutschen Familie aus Meschwitz bei Bautzen, die am 12. Juni 2009 zusammen mit einem britischen Ingenieur, zwei deutschen Pflegehelferinnen und einer südkoreanischen Lehrerin in der Provinz Saada entführt worden waren. Die Pflegerinnen Anita S. und Rita G. aus Lemgo sowie die Koreanerin wurden Tage später erschossen und verstümmelt aufgefunden.

Von Johannes und Sabine Hentschel, den Eltern der beiden Mädchen, fehlt noch immer jede Spur. Ihr damals einjähriger Bruder Simon ist vermutlich tot. "Wir müssen davon ausgehen, dass Simon nicht mehr lebt", sagte der Schwager des entführten Familienvaters, der Pfarrer Reinhard Pötschke.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, das Schicksal der Vermissten "erfüllt uns weiterhin mit großer Sorge". Die Bundesregierung hat dem islamischen Königreich Saudi-Arabien für die "Rettungsaktion" gedankt. Doch mit Rücksicht auf die noch immer vermissten Geiseln und die politischen Befindlichkeiten in Riad und Sanaa werden die Details der Operation zurückgehalten. Die jemenitischen Stammesführer in dem Gebiet behaupten, ein Sondereinsatzkommando sei mit Hubschraubern in dem Bezirk Schadha gelandet. Das saudische Innenministerium will davon jedoch genauso wenig etwas wissen wie von einer angeblichen Operation saudischer Sicherheitskräfte in einem jemenitischen Dorf vor einigen Tagen. Schiitische Houthi-Rebellen, die im vergangenen Jahr gegen die jemenitische Armee und Stoßtrupps aus Saudi-Arabien gekämpft hatten, veröffentlichten Videoaufnahmen aus dem Dorf Umm Kuwaia im Bezirk Schadha. Sie behaupten, in dem Dorf sei am Freitag eine saudische Spezialeinheit mit Planierraupen angerückt und hätte mehrere Hütten dem Erdboden gleichgemacht - offenbar auf der Suche nach den Geiseln.

"Das stimmt nicht - wir haben die jemenitische Grenze nicht überschritten", erklärte General al-Turki dagegen. Nach seiner Darstellung wurden die Mädchen von den Saudis nicht per Militäreinsatz befreit, sondern im Grenzgebiet in Empfang genommen. Wer die Kinder dorthin gebracht hat, sagte er nicht. Ein jemenitischer Regierungsvertreter, der sich darüber ärgert, dass die Saudis nun als "Retter und Helden" gefeiert werden, sagte: "Die Saudis verhandeln schon seit Monaten mit den Entführern. Sie haben Lösegeld bezahlt." Die Rede ist von fünf Millionen US-Dollar.

Obskur bleibt auch die Rolle der jemenitischen Regierung. Die Houthi-Rebellen behaupten, sie seien aus dem Umfeld des Präsidentenpalastes vorab darüber informiert worden, dass saudische Einheiten im Anmarsch seien. Das deutsche Ehepaar war für die christliche Hilfsorganisation Worldwide Services in einem Krankenhaus tätig.

Im vergangenen Jahr hatte der "Spiegel" unter Hinweis auf Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes berichtet, der tiefgläubige Johannes Hentschel habe im Jemen versucht, einen Muslim zum Bibelstudium aufzufordern. Er sei daraufhin gewarnt worden, dass seine Missionierungsarbeit schon Thema in den Moscheen sei und dass man ihn bei den geistlichen Autoritäten anzeigen wolle. Hentschel habe die Warnungen jedoch ignoriert; es sei zum heftigen Streit mit aufgebrachten Muslimen gekommen. Die beiden ermordeten Pflegerinnen waren zugleich Bibelschülerinnen und sollen christliche Missionsschriften in den Jemen gebracht haben.

Entführungen von Ausländern sind im Jemen fast zu einer lukrativen Industrie geworden. Die Zentralregierung in Sanaa kämpft gegen diverse Rebellenbewegungen und hat über weite Teile des Armenhauses Arabiens keine Kontrolle. Dort herrschen Rebellen, Stammesfürsten - und die Terrororganisation al-Qaida, die den Jemen zu ihrer neuen Hochburg ausgebaut hat.