Großbritanniens Ex-Außenminister David Miliband will Parteichef werden, Ex-Energieminister Ed Miliband auch

London. Geschlagen und verwirrt irrt die Labour-Partei jetzt am Rande des politischen Spektrums, sucht nach Gründen ihrer Niederlage und nach einem Weg in die Zukunft. "Wir müssen dieses ganze Blair/Brown-Business hinter uns lassen und mit neuen Ideen nach vorn gehen", sagte am Wochenende Ed Miliband, 40, der jüngere Bruder von Ex-Außenminister David Miliband. Sprach's und verkündete, er sei hiermit ein Bewerber im Rennen um die Führung der Partei, die seit Gordon Browns Rücktritt steuerlos dahindriftet.

Damit maßregelte der Sprecher gleich auch sich selbst, war er doch unter Brown zuletzt Minister für Energie und Klimawandel. Man sieht: Liegt eine Partei erst einmal am Boden - mit nur 29 Prozent der Wählerstimmen heimste Labour das schlechteste Ergebnis seit 1983 ein -, macht es sich gut, schonungslose Selbstkritik zu üben. Nur so baut sich Glaubwürdigkeit auf, besonders wenn man an die Spitze dieser ausgezehrten Partei will.

Wenige Tage vor diesem Auftritt aber hatte der andere Miliband, David, 44, ebenfalls seine Kandidatur um die Parteiführung angemeldet. Wir dürfen also das brüderliche Ministerpaar am Kabinettstisch Brown in den nächsten Monaten als brüderliche Kontrahenten um die Brown-Nachfolge erleben. Doch solle es "ein zivilisierter Kampf" werden, sagen beide, dafür "lieben wir uns als Geschwister viel zu sehr". Eine Gratwanderung wird es auf jeden Fall, zwischen familiärer Schonung und politischer Schonungslosigkeit.

In den Annalen von New Labour tauchen die Miliband-Brüder um die Mitte der 90er-Jahre auf, als Berater im Umkreis von Tony Blair und Gordon Brown: David rückt nach seinem Eintritt ins Unterhaus 2001 bald ins "Küchenkabinett" von Blair auf, Ed stößt vier Jahre später, seit 2005 ebenfalls Abgeordneter, zu Brown vor, bei dem er sich als Redenschreiber verdient gemacht hatte. Die Brüder beobachten das zunehmende Zerwürfnis zwischen Blair und Brown, zwischen Premier und Schatzkanzler, ohne aber in den Sumpf aus Gift und Galle hineingezogen zu werden.

Sie kommen aus einem Haus im Primrose Hill in Hampstead, das ab den 60er-Jahren zu einem Magneten der intellektuellen Auseinandersetzung um die politische Ausrichtung Großbritanniens werden sollte. Vater Ralph (1924-1994), aus jüdisch-polnischer Familie, galt als führender marxistischer Denker. Seine Bücher - "Parlamentarischer Sozialismus" oder "Der Staat in der kapitalistischen Gesellschaft" - zählten zeitweilig zu den am meisten diskutierten im Dialog um Labours Zukunft.

Großvater Samuel (1895-1966) war schon 1920 den antisemitischen Anfeindungen in Polen nach Belgien entkommen, wo er sich ein Ledergeschäft aufbaute. Neun Tage nach dem deutschen Einmarsch, am 19. Mai 1940, gelang ihm und seiner Familie auf einer der letzten Fähren von Oostende nach Dover die Flucht. Ein anderer Zweig der polnischen Milibands hatte sich nach Osten gewandt. Und es war in Moskau, wo Ed während eines Fachtermins im Oktober 2009 den letzten Spross des nach Russland ausgewanderten Miliband-Clans wiederfand, Sofia Davidowna Miliband, 87, eine Großtante der Brüder. Sie hatte sich nach einem Interview des Ministers mit einem Moskauer Radiosender gemeldet. Von den Milibands, die in Polen blieben, kamen mehrere in den Vernichtungsstätten der Nazis um.

Die Geschwister wuchsen im Haus ihres Vaters in London auf, wo Leute von akademischem Rang und politischem Namen ein und aus gingen. Hochbegabt, fanden beide den Weg nach Oxford, wo sie am Corpus Christi College in der klassischen Trias von PPE (Politics, Philosophy, Economics) graduierten. Den Master machte David dann am Massachusetts Institute for Technology in Boston, Ed an der London School of Economics. Das Wort "Elite" wäre von ihnen nie erfunden worden - es lag ihnen vielmehr im Blut, als die Verpflichtung eines Erbes, das über Verfolgung und Flucht hinaus seine Nachhaltigkeit bewiesen hatte. Vom ideologischen Gepäck des Vaters blieben sie aber gänzlich frei.

Schon zweimal hatte David Miliband sich verführt gesehen, im Wettstreit um die Labour-Spitze anzutreten. Im Sommer 2007 drängte sein Gönner Blair ihn, sich als Gegenkandidat zu Brown aufstellen lassen - Blair wusste um die Charakterprobleme Browns und traute ihm die Labour-Führung nicht zu. Doch Miliband ließ sich nicht in diesen Zwist hineinziehen, Brown belohnte ihn mit dem Amt des Außenministers. Ein Jahr später, der Premier war durch die Finanzkrise bereits angeschlagen, spielte er selbst mit dem Gedanken einer Brown-Herausforderung. Aber auch diesmal ließ er davon ab. Cäsar sollte nicht durch Mord beseitigt werden. Und tatsächlich machte Gordon Brown durch seine Abdankung die Bahn nun endlich frei für die beiden Brüder.

"Unsere Mutter ist weder für den einen noch den anderen von uns, sie unterstützt den Abgeordneten John Cruddas", witzelte Ed Miliband bei Bekanntgabe seiner Kandidatur. Cruddas steht auf dem linken Flügel der Partei und vertritt eine Rückkehr zu Old Labour, eine Nostalgiereise in die sozialistische Vergangenheit.

Davon sind die beiden Milibands weit entfernt. Sie bauen auf die Zukunft von Reformen. Doch auf wen von ihnen beiden baut die Partei?