Tory-Chef zieht in Downing Street 10 ein. Koalitionsregierung mit den Liberaldemokraten. Gordon Browns politische Karriere zu Ende?

London. Das hat es seit 70 Jahren im Vereinigten Königreich nicht gegeben: Erstmals seit 1940 soll Großbritannien wieder von einer Koalition regiert werden. Das kündigte der neue Premierminister David Cameron von den konservativen Tories, der seine Partei nach 13 Jahren wieder an die Macht geführt hat, am Dienstagabend an. Er werde zusammen mit den Liberaldemokraten und deren Chef Nick Clegg eine Koalition bilden, sagte Cameron vor dem Amtssitz des britischen Regierungschefs in der Londoner Downing Street 10 an der Seite seiner Frau Samantha.

Zuvor hatte Königin Elizabeth II. den Chef der Konservativen zum neuen Premier ernannt. Cameron habe das "Angebot Ihrer Majestät angenommen und ihr anlässlich seiner Ernennung zum Premierminister die Hand geküsst", teilte der Buckingham-Palast mit. Die Ernennung des britischen Regierungschefs findet traditionell in einer "Kissing Hands" genannten Zeremonie statt. Cameron ist mit 43 Jahren der jüngste Premierminister Großbritanniens seit 1812. US-Präsident Barack Obama und Angela Merkel gratulierten dem neuen Premier noch am Abend per Telefon. Außerdem lud die Bundeskanzlerin Cameron zu einem baldigen Besuch nach Deutschland ein.

Die Liberalen konnten sich zunächst nicht für einen Partner entscheiden

Zuvor hatte Gordon Brown, der bisherige Premierminister und Vorsitzende der Labour-Partei, seinen Rücktritt von beiden Ämtern erklärt. Damit ist die Ära von "New Labour" 13 Jahre nach der Wahl von Tony Blair beendet. Und in London beginnt das letzte Kapitel in einem seit Tagen anhaltenden Koalitionskrimi. Unklar war zunächst noch, wer welche Posten im neuen Kabinett besetzen wird und welche Rolle "Königsmacher" Clegg spielen wird. "Eine Koalition wird große Herausforderungen mit sich bringen", sagte Cameron. Er und Clegg seien aber fest entschlossen, Parteigrenzen zu überwinden und gut zusammenzuarbeiten. Erste Namen sickerten Dienstagabend bereits durch: Der langjährige Außenexperte der Tories, William Hague, soll Außenminister werden. Der Finanzexperte George Osborne soll das Amt des mächtigen Schatzkanzlers übernehmen. Hague ist mit 49 Jahren ein Tory-Veteran. Er war schon Parteichef der Konservativen, scheiterte aber bei der Wahl 2001 gegen Tony Blair. Hague gilt als äußerst europakritisch.

"Ich wünsche dem neuen Premierminister alles Gute"

Die Koalitionsverhandlungen waren zuvor chaotisch verlaufen. Die Liberalen wollten zuerst mit den Tories zusammengehen, weil diese bei der Wahl am Donnerstag vergangener Woche zur stärksten Partei geworden waren. Doch dann sattelten die "LibDems" zeitweise doch auf Labour um, nachdem Brown seinen Rückzug als deren Chef angekündigt hatte.

"Ich habe den Job geliebt", sagte Brown bei seinem bitteren Abschied nach nur drei Jahren im Amt. Zehn Jahre lang hatte er als Finanzminister im Schatten von Tony Blair auf das Amt des Regierungschefs gewartet. Er führte das Land durch eine seiner schwersten Wirtschaftskrisen, doch das Volk liebte ihn nie. Freunde von Brown sagen, er werde sich nun komplett aus der Politik zurückziehen. Während Brown seinen Rücktritt noch vorbereitete, verhandelten die Liberalen bereits mit den Tories, wie eine Koalition aussehen könnte.

Ihre Mehrheit ist komfortabel: Die Konservativen haben 306, die Liberalen 57 Sitze im Unterhaus - die Mehrheit liegt bei 326 Sitzen. Labour hatte nur 258 Mandate gewonnen.

Nun richten sich die Blicke wieder auf harte politische Entscheidungen. "Ich wünsche dem neuen Premierminister alles Gute", sagte Brown in seiner Rücktrittserklärung. Die Zeiten für Cameron, der den Briten den Wandel versprochen hat, werden schwer. Außenpolitisch dürfte die Politik äußerst spannend - und für die Partner in der Europäischen Union auch durchaus anstrengend - werden. Großbritannien hat die Einführung des Euro verweigert, gehört nicht zum Schengen-Raum, und die Konservativen sind nicht mehr Teil der Europäischen Volkspartei - die bisher schon häufig ablehnende Haltung Londons gegenüber Brüssel dürfte sich kaum zum Besseren wenden. Spannend ist, inwieweit die Liberalen ihren Einfluss geltend machen können. Vor allem Clegg gilt als ehemaliger Europaabgeordneter als extrem europafreundlich.

In Wirtschaftsfragen sind Konservative und Liberale weitgehend einig

Auch in Verteidigungsfragen könnte es Schwierigkeiten geben. Die Liberalen hatten im Unterhaus gegen den Irak-Krieg gestimmt und sehen auch das militärische Engagement Großbritanniens in Afghanistan skeptischer als die Tories. In Wirtschaftsfragen sind sich beide dagegen in groben Zügen einig: Oberste Priorität hat das Stopfen des immensen Schuldenlochs. Die Briten stehen vor einem Haushaltsdefizit von rund zwölf Prozent - viermal so hoch wie von der EU erlaubt.

Hauptforderung der Liberaldemokraten ist eine Reform des Mehrheitswahlrechts, das kleinere Parteien benachteiligt. Die Konservativen boten Clegg eine Volksabstimmung über das Wahlsystem an, die aber keinen tief greifenden Systemwechsel vorsieht.

Bei Labour ist nun das Rennen um die Nachfolge von Brown an der Parteispitze entbrannt. Und auch da deutet sich wieder ein Politthriller an. So könnten die Brüder Miliband, David, der Außenminister, und Ed, der Umweltminister, gegeneinander antreten.