Nach ersten Prognosen war es aber unklar, ob der Tory-Chef auch in 10 Downing Street einziehen kann

Hamburg. Die konservativen Tories mit David Cameron an der Spitze sind bei der britischen Parlamentswahl nach Prognosen der BBC stärkste Partei geworden. Jedoch reicht es demnach nicht für eine - nach dem britischen Mehrheitswahlrecht bisher übliche - absolute Mehrheit. Die Prognosen zeigten ein "Hung Parliament". Damit kann es erstmals in Großbritannien eine Koalition oder wie 1974 eine Minderheitsregierung geben.

Premierminister Gordon Brown führte die seit 13 Jahren regierende Labour-Partei in eine schwere Niederlage. Sie verlor demnach um die 100 Sitze. Auch für den Überraschungsstar des Wahlkampfes, den Liberalen Nick Clegg, war das Ergebnis eine herbe Enttäuschung. Letztlich erreichte er wohl nur knapp das bisherige Ergebnis. Nach Hochrechnungen erlangten die konservativen Tories 305 von 650 Sitzen, die sozialdemokratische Labour-Partei 255, die Liberalen 61 Sitze.

Damit wäre Brown nach nur drei Jahren im Amt abgewählt. Damals hatte er von seinem Vorgänger Tony Blair die Regierungsspitze übernommen. Er hat nun allerdings den ersten Zugriff auf eine Regierungsbildung, doch reicht es wegen verschiedener Sitze für Splitterparteien nicht für eine Koalition mit den Liberalen. Das "Hung Parliament" eröffnet vor allem den Tories mehrere Optionen. Sie könnten sich von den Splitterparteien tolerieren lassen oder mit den Liberalen koalieren. Trotz des enttäuschenden Ergebnisses könnten die Liberalen dann erstmals in der Geschichte Großbritanniens mitregieren.

Damit hieße der neue Premier im Amtssitz 10 Downing Street David Cameron. Er hatte im stark von der Wirtschaftskrise geprägten Wahlkampf angekündigt, sich sofort an den Abbau des britischen Schuldenberges machen zu wollen. Außerdem fährt er einen europakritischen Kurs und will so wenig Machtbefugnisse wie möglich an Brüssel abgeben. Brown hingegen hatte darauf gepocht, dass weiterhin Geld in die Wirtschaft gepumpt werden müsse, bevor das Sparen losgehen könne. Nur so sei ein Zurückrutschen in die Rezession zu verhindern. Clegg setzte sich vor allem für eine Reform des Wahlsystems ein, das seiner Ansicht nach nicht die Stimmung im Volk widerspiegelt und kleinere Parteien benachteiligt. Selten war eine Wahl in Großbritannien bis zum Schluss so spannend gewesen. Die Umfragen sagten bis zur letzten Minute ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Entsprechend groß war das Interesse. Schon gleich nach der Öffnung meldeten die meisten Wahllokale eine höhere Beteiligung als 2005. "Das ist eine historische Wahl, und ich möchte, dass sich das System verändert", sagte Miriam Kemple. Die Briten wittern Umschwung und Erneuerung, 44 Millionen wählten die Abgeordneten. Wer die einfache Mehrheit erlangt, zieht ins Unterhaus ein. Normalerweise ermöglicht dieses britische Mehrheitswahlrecht eine so klare Ein-Parteien-Mehrheit, dass die Briten schon am Tag nach der Wahl mit einem neuen Premierminister aufwachen und der alte (wenn er nicht auch der neue ist) noch am selben Nachmittag im Londoner Amtssitz 10 Downing Street seine Koffer packt. Diesmal, und das war das Spannende bis zuletzt, wird das offenbar anders sein.

Hinter allen drei Spitzenkandidaten lag gestern Abend ein anstrengender Wahlkampfendspurt. "Nervenaufreibend" sei er gewesen, gab Cameron gestern nach einer 36-Stunden-Tour durch das ganze Land zu. Viel Politikverdrossenheit sei ihm entgegengeschlagen, erkannte er. Doch er habe gute Argumente gefunden, meinte Cameron. Ein bespielloser Spendenskandal im vergangenen Jahr, der Abgeordnete aller Parteien in ein höchst raffgieriges Licht gerückt hatte, hat dem Ansehen der Politiker massiv geschadet.

Brown bat eindringlich und mit "Demut" bis zuletzt um jede Stimme. Der Mann, der eine seit 13 Jahren anhaltende Labour-Regierung, die unter Tony Blair furios gestartet und nach Browns Amtsübernahme vor drei Jahren drastisch abgesackt war, verteidigte, griff nach einem letzten Strohhalm: Er schimpfte auf die Medien und Geschäftsleute, die ihn jetzt schon abgeschrieben hätten.

Nun warten die wirklich großen Probleme des Landes: Die Britische Insel ist mit 187 Milliarden Euro hoch verschuldet. Das Haushaltsdefizit steuert auf riesige zwölf Prozent zu. Die EU erlaubt nur drei Prozent und schaut bereits besorgt nach London.