Tel Aviv. Tel Aviv ist berühmt für die Clubs und Bars. Doch von Feiern kann nicht die Rede sein. Der Krieg hängt wie ein Schatten auf der Stadt.

Auf den Baustellen-Zäunen, wo sonst grell-bunte Plakate zu schrillen Clubbings einladen, kleben jetzt die Bilder der Gekidnappten. Man sieht einen jungen Mann in Badehose, eine ältere Frau mit Sommerhut, sie lächeln. Es sind Bilder aus besseren Zeiten, die an jene erinnern sollen, die sich immer noch in der Gewalt der Terroristen in Gaza befinden, inmitten von Krieg, Hunger und Folter.

Die Straßen Tel Avivs lassen schon auf den ersten Blick erkennen, dass die Partystadt am Mittelmeer in diesen Tagen wenig zu feiern hat. Die Stadt, die niemals schläft, so nennt man Tel Aviv in Israel. Das ist noch immer wahr, doch hat die Schlaflosigkeit nun andere Gründe als in der Zeit vor dem brutalen Überfall der Hamas am 7. Oktober. Man sorgt sich um die Freunde, Verwandten, Kollegen, die an der Front kämpfen. Um die Verschleppten, die nicht befreit werden konnten. Und um die Zukunft, die völlig ungewiss ist.

„Es ist wie zur Corona-Zeit, aber auch ganz anders“, sagt eine Miri, eine 55-jährige Tel Aviverin. „Damals wollten alle ausgehen, durften aber nicht. Heute dürfen sie, aber wollen nicht.“

Israel: „Den Leuten ist nicht nach Party“

Von der Schockstarre der ersten Wochen nach dem 7. Oktober ist vordergründig zwar nicht mehr viel zu bemerken. Damals heulten noch ständig die Sirenen, die pausenlosen Raketenangriffe der Hamas trieben die Menschen in die Luftschutzräume. Schulen und Unis waren geschlossen. Und Zehntausende hatten längst die Stadt verlassen, um an den Fronten zu dienen, im Süden und im Norden Israels.

Von einer Rückkehr zur Normalität kann aber keine Rede sein. Der Krieg in Gaza hält an, niemand weiß, wann er zu Ende sein will. Im Norden greifen die Terrormilizen aus dem Libanon an und provozieren Israel zum Gegenschlag, und die Angst, dass auch dort der Krieg ausbricht, lässt sich nur schwer verdrängen.

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Wer in der Stadt ist, geht der Arbeit nach, trifft Freunde, hat aber wenig Lust auf Party. „Von Feierlaune kann überhaupt keine Rede sein“, sagt Gal, Besitzer der beliebten Bar Mike‘s Place. „Den Leuten ist nicht nach Party. Jeder kennt doch mindestens einen, der gekidnappt, verwundet oder getötet wurde. Und jeden Tag sterben Soldaten. Alle machen sich Sorgen und sind ständig gestresst.“

Gal hat das Glück, dass seine Bar kein reiner Party-Ort ist. Hierher kommt man auch, um einfach nur gemütlich mit Freunden ein Bier zu trinken und einen Burger zu essen, manchmal spielt eine Band ein Konzert. Auch die Soldaten der Reserveeinheiten, die nun aus Gaza zurückkehren, kommen in die Bar. „Sie wollen nicht nur Ablenkung, sie brauchen sie“, sagt Gal.

Und sie trinken. „Nicht so wie die Deutschen“, scherzt er, „aber ja, sie trinken“.

Dort, wo die ganze Nacht getanzt wird, ist in diesen Tagen wenig los. Die Clubs und Party-Locations machen so wenig Geschäft, dass einige von ihnen erst gar nicht aufsperren. „Es ist absurd“, sagt Gal. „Die Clubszene in Tel Aviv ist weltberühmt, und jetzt ist hier alles zu. Das sagt viel darüber aus, wie mies die Stimmung ist.“

In normalen Zeiten zieht die Stadt Partyvolk aus der ganzen Welt an – „Leute, die ihre gute Laune in unsere Clubs bringen“, sagt Gal. Selbst davon ist aber derzeit keine Spur, der Tourismus liegt lahm. Immerhin kommen die ersten Geschäftsreisenden wieder langsam zurück. Bis sich die Lage wieder normalisiert, „wird aber noch viel Zeit vergehen“, glaubt Gal.

Israel: Menschen wollen bei ihren Partnern sein – nicht im Club

Vier Monate lang war Roey in Gaza an der Front, vergangene Woche ist er zurückgekehrt. „Ich habe so viele meiner Kameraden sterben gesehen“, sagt der 24-Jährige, „es war hart“. An der Front hatte er kaum Zeit zu trauern um die vielen Freunde, die er am 7. Oktober verloren hat, beim Nova-Festival im Süden Israels. Jetzt ist der Co-Eigentümer einer Bar in Tel Aviv und Besitzer eines Cafés wieder zu Hause, kümmert sich ums Geschäft.

Er versteht, dass viele Leute lieber zu Hause bleiben, als abends auszugehen. „Sie wollen Zeit mit dem Partner verbringen, mit der Familie, mit den engsten Freunden“, sagt der 24-Jährige. Die Menschen suchten Halt in der Bezugsgruppe, nicht Zerstreuung in der Masse.

In seinem zentral gelegenen Café herrscht nun zwar wieder Vollbetrieb, sagt Roey. Kaffee getrunken wird immer. In den Bars und Clubs merke man aber, dass selbst die, die doch mal abends ausgehen, das nicht mehr so ausgelassen tun wie früher. „Sie bleiben nicht mehr bis ins Morgengrauen.“

Wann es wieder so etwas wie Normalität in Tel Aviv gehen wird? „Nicht, bevor die Geiseln zurück sind“, ist Roey überzeugt. Vielleicht könnte es aber schon davor ein erstes Ausbrechen aus der Trauerstimmung geben: Ende März feiern jüdische Israelis das Purim-Fest. Da ist es Teil der Tradition, dass sich alle kostümieren, viel trinken, die ganze Nacht durchfeiern. „Vielleicht wird es da so etwas wie Partystimmung geben“, meint Roey.

Bis dahin versucht Barbesitzer Gal, sich nicht zu viele Gedanken über die Zukunft zu machen und optimistisch zu bleiben. „Ich habe ein wunderbares Team und wunderbare Gäste“, das gebe ihm Kraft. Wer grübelt, was kommt, dem bleibe nichts anderes übrig, „als sich in die Gehirne von bösen Menschen hineinzudenken“, sagt Gal in Anspielung auf die Terrorgruppen. Das führe zu nichts. Besser, man vertraue darauf, dass es irgendwann bergauf gehen wird. „Jeder schlechte Tag hat irgendwann ein Ende. Und nach vielen traurigen Tagen kommen irgendwann auch wieder gute Zeiten.“