Manchester. New Hampshire hat Trumps größte Schwäche gezeigt. „Er ist nervös“, sagen Experten. Die Wahl im November kann eine Überraschung bringen.

Glänzende, fettige Haut. Schweiß auf der Stirn – und überhaupt nicht in souveräner Siegerlaune: Auf der Bühne eines Hotels in Nashua/New Hampshire tauchte am Dienstagabend ein ausgesprochen wütender Donald Trump auf, der nicht seinen zweiten Erfolg bei den republikanischen Vorwahlen zelebrierte, seinen Wählerinnen und Wählern schmeichelte und vielleicht eine erste Vision vom Amerika nach 2025 präsentierte. Stattdessen wirkte er fahrig.

Der 77-Jährige schimpfte ausgiebig darüber, dass seine einzige Rivalin, Nikki Haley (eine „Hochstaplerin”), nicht bereits die weiße Fahne gehisst und wie viele andere Ex-Kandidaten den Ring des scheinbar übermächtigen Favoriten geküsst hat. Die Aufführung hat Gründe, sagen republikanische Strategen: „Er ist nervös. New Hampshire hat gezeigt, dass Donald Trump in der echten Wahl im November sehr verwundbar ist.“ Warum ist das so?

Die Wähler

Knapp 20 Prozent der republikanischen Teilnehmer an der Vorwahl haben Meinungsforschern von der Nachrichtenagentur AP nach der Stimmabgabe in den Block diktiert, dass sie Trump am 5. November niemals wählen würden. Zu viel Chaos. Zu viel Egotrip. Die Argumente sind bekannt. Dass Nikki Haley im Neuengland-Bundesstaat über 130.000 Stimmen bekommen hat (Trump kam auf über 165.000), zeige, dass es den veritablen Wunsch nach einer Alternative gebe. Schon in Iowa erklärten 45 Prozent der knapp 21.000 republikanischen Haley-Wähler, dass sie in der „General Election“ Joe Biden wählen würden.

20 Prozent der republikanischen Wähler und 65 Prozent der Parteiunabhängigen würden Trump im November nicht wählen. Für den Kandidate eine Hiobsbotschaft.
20 Prozent der republikanischen Wähler und 65 Prozent der Parteiunabhängigen würden Trump im November nicht wählen. Für den Kandidate eine Hiobsbotschaft. © IMAGO/ZUMA Wire | IMAGO/Sue Dorfman

Trump benötige im November aber 90 Prozent der republikanischen Wählerschaft, um Präsident zu werden, sagt der konservative Stratege Whit Ayres. Und es kommt noch dicker. Bei Wahlberechtigten ohne Parteiregistrierung („independent” oder „undeclared”), die landesweit inzwischen die größte Gruppe darstellen, lag der Wert der „Never Trumper” bei über 65 Prozent. Mehrere renommierte US-Analysten weisen darauf hin, dass Trump bei einem erwartbar knappem Ausgang mit diesen Zahlen gegen Joe Biden „so gut wie keine Chance haben wird”.

Der Amtsinhaber der Demokraten, obwohl insgesamt miserabel gelitten, liegt bei den Unabhängigen laut „New York Times” über zwölf Prozentpunkte vor Trump. Woran das liegt? „Trump hat in seinen über acht Jahren auf der Washingtoner Bühne viele Menschen nachhaltig verprellt. Die kommen nicht mehr zurück”, sagt der frühere demokratische Präsidentschaftskandidat Andrew Yang.

Die Wirtschaft

Trump erweckt permanent den Eindruck, als stehe Amerika vor dem Ruin, mindestens aber in einer tiefen ökonomischen Talsohle, aus der nur einer, er, das Land wieder herausführen könne. Die Realität sieht, trotz immer noch hoher Verbraucherpreise, anders aus. Die Inflation ist radikal gebremst worden. Die Benzinpreise sind seit Juni 2022 um 40 Prozent gefallen. Die Konjunktur brummte bereits im vergangenen Weihnachtsgeschäft. Betriebe suchen händeringend nach Arbeitskräften.

Die Supermarktpreise sind nach wie vor hoch. Aber viele andere Indikatoren zeigen, dass sich die Stimmung in den USA aufhellt. Davon könnte Joe Biden profitieren.
Die Supermarktpreise sind nach wie vor hoch. Aber viele andere Indikatoren zeigen, dass sich die Stimmung in den USA aufhellt. Davon könnte Joe Biden profitieren. © AFP | FREDERIC J. BROWN

Und, vielleicht am wichtigsten, das generelle Verbraucherklima ist aktuell so positiv wie seit 2021 nicht. Konsolidiert sich das, wovon einige Ökonomen ausgehen, und senkt die Zentralbank Fed demnächst die Zinsen, könnten bisher missmutig auf Amtsinhaber Joe Biden reagierende Wähler ab Spätsommer milder auf die Regierung blicken.

Die Prozesse

Befragungen von republikanischen Wählern in New Hampshire haben einen Befund aus Iowa bestätigt: Amerika macht einen Unterschied zwischen Angeklagten und Verurteilten. Sollte Trump in den anstehenden Verfahren, von denen heute verlässlich niemand weiß, wann sie starten und ob sie vor der Wahl am 5. November mit einem klaren Urteil enden, für schuldig erklärt werden, gehen ihm über 25 Prozent der Wähler von der Fahne. „Ich werde keinen Straftäter ins Weiße Haus schicken”, sagte stellvertretend für viele die 73-jährige Debbie Morrison aus Hampton dieser Zeitung.

Der Mann, der Donald Trump sehr gefährlich werden kann: Sonderermittler Jack Smith ist die zentrale Figur in den anstehenden Prozessen gegen Donald Trump.
Der Mann, der Donald Trump sehr gefährlich werden kann: Sonderermittler Jack Smith ist die zentrale Figur in den anstehenden Prozessen gegen Donald Trump. © DOUG MILLS/The NewYorkTimes/Redux/laif | DOUG MILLS/The NewYorkTimes/Redu

Das Alter

Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass nicht nur Joe Biden (81) mit den Verschleißerscheinungen des Alters zu kämpfen hat. Trump hat in diversen Reden haarsträubende Fehler gemacht, die an seiner mentalen Verfassung zweifeln lassen. Er verwechselte Barack Obama mit Joe Biden, den Zweiten Weltkrieg mit der Gefahr eines Dritten, seine Konkurrentin Nikki Haley mit der früheren demokratischen Top-Politikerin Nancy Pelosi.

Hintergrund: US-Präsident: Diese Befugnisse hat das Staatsoberhaupt

Die Sozialen Medien sind voll von Videosequenzen, in denen Trump entweder Sätze komplett vernuschelt oder, wie es der MSNBC-Moderator Jon Scarborough, ein Republikaner, formuliert, „komplett wirres Zeug redet“. Selbst Trump gewogene TV-Größen wie Megyn Kelly stellen fest, dass Trump 2024 bei Weitem nicht mehr so klar und messerscharf sei wie bei seiner ersten Kandidatur 2016.

Der Charakter

Trumps gehässige Reaktion auf die Standhaftigkeit von Nikki Haley, heute noch nicht ihre Kandidatur an den Nagel zu hängen, hat viele gemäßigte Republikaner in New Hampshire empört. Trump warf seiner früheren UN-Botschafterin „Wahnvorstellungen“ vor, weil sie für sich weiterhin eine Chance zur Nominierung sieht und das Rennen um die Kandidatur zurzeit nicht aufgeben will. Dabei spekulierte Trump darüber, dass die 52-Jährige „Leichen im Keller” und demnächst mit polizeilichen Untersuchungen zu rechnen habe. Doreen Mahon (56) aus Hampton, eine Republikanerin: „Allein diese schikanierende Art bestätigt mich darin, dass dieser Mann nicht mehr Präsident werden darf.“

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