Jerusalem. „Israel wird für unbestimmte Zeit die Sicherheitsverantwortung in Gaza übernehmen“, sagt der Premier. Jetzt rätselt das ganze Land.

Das strategische Ziel von Israels Premier Benjamin Netanjahu ist klar formuliert: Die islamistische Terrororganisation Hamas soll zerstört werden, damit sie Israel nie wieder bedrohen kann. Aber was kommt nach dem Krieg? Hier sorgte Netanjahu jetzt mit einem Satz für Wirbel und jede Menge Interpretationsspielraum. „Israel wird für eine unbestimmte Zeit die Sicherheitsverantwortung in Gaza übernehmen“, sagte der Regierungschef dem US-Sender ABC am Montag. In Israel kursieren drei Szenarien:

Erstes Szenario: Israel als militärische Besatzungsmacht in Gaza

Der Rechtsaußen-Flügel in Netanjahus Regierung, darunter die Religiösen Zionisten unter Finanzminister Bezalel Smotrich, wollen Gaza unter volle Kontrolle Israels bringen. Manche sprechen sogar von einer Annexion Gazas und verweisen dabei auf die Golanhöhen im Norden des Landes. Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Gallant halten aber wenig von dieser Strategie. Auch die meisten Militärexperten betrachten es als höchst riskant, wenn Gaza ein Teil Israels wird.

Ein israelischer Soldat läuft auf dem Dach eines Panzers im Norden des Landes nahe der Grenze zum Libanon. Die Gefechte mit der schiitischen Hisbollah-Miliz haben zugenommen.
Ein israelischer Soldat läuft auf dem Dach eines Panzers im Norden des Landes nahe der Grenze zum Libanon. Die Gefechte mit der schiitischen Hisbollah-Miliz haben zugenommen. © AFP | JALAA MAREY

Ganz davon abgesehen, dass sich die rund 2,3 Millionen Palästinenser im Gazastreifen nicht einfach damit abfinden würden, von Israel beherrscht zu werden. Ein geleaktes Dokument, das aus dem israelischen Geheimdienstministerium stammt, spricht von einem Modell, das Palästinenser massenhaft aus dem Gazastreifen vertreiben würde. Das würde Israel nicht nur international unter massiven Druck bringen. Auch im Sicherheitsapparat Israels findet die Variante dem Vernehmen nach wenig Zustimmung.

Zweites Szenario: Israel stürzt die Hamas und übergibt den Gazastreifen

Dieses Modell ist unter Experten die populärste Variante. Frühere hochrangige Offiziere wie etwa Ex-Ministerpräsident Ehud Barak würden den Gazastreifen gerne in einer Übergangsregierung durch ein Konsortium mehrerer arabischer Staaten sehen. Denkbar sind Staaten wie Jordanien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain – also lauter Staaten, mit denen Israel diplomatische Beziehungen pflegt. Dieses Modell hat auch unter israelischen Militärexperten viel Unterstützung. Ob die arabischen Staaten dazu bereit wären, ist ungewiss.

Die Palästinenserbehörde übernimmt die Kontrolle des Gazastreifens

Dieses Modell war schon einmal in Kraft: Als sich Israel vor 18 Jahren aus dem Gazastreifen zurückzog, übernahm die Palästinenserbehörde (PA) die Kontrolle. Im Jahr 2007 putschte sich jedoch die radikalislamische Hamas an die Macht und baute seither ein rigides Terrorregime auf. Im Laufe der Jahre hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas auch im Westjordanland an Popularität verloren. Die Palästinenser werfen ihm vor, dass er der israelischen Besatzung nichts entgegensetzt, sondern sogar mit ihr kooperiert.

Dass sich Abbas seit 2006 keinen Wahlen gestellt hat, dass er Gegner mundtot macht und einsperren lässt und seine Unterstützer mit veruntreutem Geld besticht, trug ebenfalls nicht zu seiner Beliebtheit bei. Manche sind der Meinung, dass eine Übergabe an die PA nur dann gelingt, wenn Abbas nicht mehr an der Macht ist. Eine Abwahl des 87-Jährigen ist aber schon im Jahr 2021 daran gescheitert, dass Abbas die Wahlen kurzfristig abgeblasen hat.