Berlin. Laut einer Studie teilen immer mehr Menschen in Deutschland rechtsextreme Einstellungen. Millionen wollen demnach sogar eine Diktatur.

Es ist ein Satz in der Studie, der besonders beunruhigt: „Der deutsche Nationalsozialismus war ein Faschismus, der in der Mitte entstand und von der Mitte getragen wurde.“ Und so soll nun veröffentlichte die Untersuchung um den Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick auch mahnen. „Die Mitte gebiert Rechtsextreme, sie ist die Adressatin ihrer Propaganda und zentral für ihre Unterstützung.“

So steht es in der neuen „Mitte-Studie“, die rechtsextreme Einstellungen in der deutschen Gesellschaft analysiert – nicht an den politischen Rändern, sondern im Zentrum der Demokratie. Seit vielen Jahren erscheint sie in regelmäßigen Abständen, im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.

Doch selten waren die Ergebnisse so beunruhigend und auffallend wie jetzt. Das Vertrauen in staatliche Institutionen sinkt, mehr Menschen verlieren den Glauben an die Demokratie. Demnach hat rund jeder Zwölfte in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild. In den vergangenen Erhebungen waren dies zwei bis drei Prozent. Sechs Prozent der Befragten befürworten den Ergebnissen der Umfrage zufolge sogar „eine Diktatur mit einer einzigen starken Partei und einem Führer“. Neu ist: Gerade bei jungen Menschen wachsen anti-demokratische Einstellungen.

Auch Antisemitismus wächst in Deutschland. Der Aussage, jüdische Menschen würden versuchen, ihren Vorteil aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus zu ziehen, stimmen 16,5 Prozent zu. Weitere 19 Prozent schließen sich dem teilweise an.

Auffällig ist auch, dass 13 Prozent der Auffassung sind, einige Politikerinnen und Politiker hätten es verdient, wenn „die Wut gegen sie in Gewalt umschlägt“. 17 Prozent würden nach eigenen Angaben Gewalt billigen, „wenn sich andere bei uns breit machen“.

Lesen Sie auch: Neonazi-Gruppe Hammerskins verboten

Laut Friedrich Ebert-Ebert-Stiftung zeigen die Ergebnisse, dass sich vor dem Hintergrund unterschiedlicher Krisen und Konflikte ein immer größerer Teil der Mitte der Gesellschaft von demokratischen Werten, Normen und Grundprinzipien distanziere. Weitere Ergebnisse im Überblick:

  • Nationalismus: 16 Prozent der Befragten sehen eine Überlegenheit Deutschlands gegenüber anderen Nationen und fordern eine Politik, die "dem Land die Macht und Geltung verschaffen solle, die ihm zusteht".
  • Verschwörungstheorien: 38 Prozent und damit deutlich mehr Menschen als noch während der Corona-Pandemie glauben an Verschwörungstheorien. Rund 32 Prozent der Menschen vertreten etwa die Meinung, Medien und Politik würden "unter einer Decke stecken".
  • Gewaltbereitschaft: 13 Prozent sind der Auffassung, einige Politikerinnen und Politiker hätten es verdient, wenn "die Wut gegen sie in Gewalt umschlägt". 17 Prozent würden nach eigenen Angaben Gewalt billigen, "wenn sich andere bei uns breit machen".
  • Antisemitismus: Der Aussage, jüdische Menschen würden versuchen, ihren Vorteil aus der Vergangenheit des Nationalsozialismus zu ziehen, stimmen 16,5 Prozent zu. Weitere 19 Prozent schließen sich dem teilweise an. Mehr als jede zehnte Person findet "überwiegend" oder "voll und ganz", dass der "Einfluss der Juden zu groß" sei und rund acht Prozent sind der Meinung, dass "die nicht so recht zu uns passen". Lesen Sie dazu den Kommentar: Kampf gegen extreme Rechte: Strategien der AfD entlarven
  • Homo- und Trans-Feindlichkeit: 16 Prozent der Befragten gaben an, es "ekelhaft" zu finden, wenn Homosexuelle sich öffentlich küssen. Vor zwei Jahren stimmten dem nur rund halb so viele Menschen zu. 17 Prozent stellen die Ernsthaftigkeit des Wunsches, sein biologisches Geschlecht anzupassen, infrage.

Studienleiter Zick sprach bei diesen Ergebnissen der Befragung von einem „Kipppunkt“ und appellierte an Politik und Gesellschaft, die Ergebnisse zum Anlass für Handeln zu nehmen. Es reiche nicht, von einer Brandmauer zu sprechen, sagte er. „Es ist kein Brand. Es ist eher eine Überschwemmung in die Mitte, und da hilft eine Brandmauer nicht.“

Die Ergebnisse der Befragung fallen in eine Zeit, in der die extrem rechte AfD Umfragerekorde einfährt. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist sie mit mehr als 30 Prozent der Stimmen derzeit stärkste Kraft. In einem Jahr werden dort neue Landtage gewählt. Nicht mehr Neonazi-Strukturen und Kameradschaften allein prägen die rechte Szene.

Es sind völkisch-autoritäre Gruppen hinzugekommen, zudem erstarkt das Milieu der sogenannten Verschwörungsideologen, die sich gegen angebliche „global agierende Macht-Eliten“ richtet, die dem „eigenen Volk“ schaden würden. Vor allem in der Corona-Pandemie gewannen diese extremistischen Strömungen an Zustimmung.

Für die repräsentative Studie wurden über 2000 Personen von 18 bis 94 Jahren befragt. Das Vertrauen in staatliche Institutionen ist gegenüber der vergangenen Befragung sogar um gut zehn Prozentpunkte auf nunmehr nur noch 51,5 Prozent gesunken. 57 Prozent der Befragten finden, dass die deutsche Demokratie im Großen und Ganzen ganz gut funktioniere. 2021 waren es noch 65 Prozent.

Mehr zum Thema: Antisemitismus – Extreme Gewalt gegen Juden häuft sich