Berlin. Bund und Länder wollen härter gegen sogenannte „Clans“ vorgehen – und Mitglieder schneller abschieben. Doch die Pläne sind umstritten.

Abdallah Abou-Chaker ist nicht mehr in Deutschland. Er war verurteilt wegen Drogenhandels, Zuhälterei und räuberischer Erpressung. Und er ist Mitglied des sogenannten „Abou-Chaker-Clans“, einer Gruppe von vor allem Männern mit palästinensischen Familiengeschichten. Sie fallen den Behörden seit vielen Jahren mit Straftaten und organisierten Verbrechen auf, das Bundeskriminalamt zählte 2021 knapp 50 Großermittlungen in diesem Zusammenhang.

Ende letzten Jahres greift eine Spezialeinheit in einem Berliner Café das Clan-Mitglied auf, bringt ihn in einem Helikopter zum Flughafen und fliegt ihn in einer gecharterten Maschine in den Libanon aus. So jedenfalls erzählt es Abdallah Abou-Chaker. Die Behörden machen keine Angaben.

Es gibt weitere Anhänger von „Clans“, die Fahndern mit Drogengeschäften oder Erpressungen auffallen – aber auch mit spektakulären Diebstählen wie im Dresdner Grünen Gewölbe oder dem Bode-Museum in Berlin. Die Täter stammen aus dem Libanon und aus der Türkei. Die meisten von ihnen, so auch der abgeschobene Abdallah Abou-Chaker, sind jedoch in Deutschland geboren und aufgewachsen. Viele haben die deutsche Staatsangehörigkeit.

Fällt mit Politik der „Härte“ auf: Bundesinnenministerin und SPD-Wahlkämpferin in Hessen, Nancy Faeser (SPD)
Fällt mit Politik der „Härte“ auf: Bundesinnenministerin und SPD-Wahlkämpferin in Hessen, Nancy Faeser (SPD) © dpa | Christoph Soeder

Nun wollen Bund und Länder in die selbsterklärte „Rückführungs-Offensive“ gehen – und schnellere Abschiebungen in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und den Kommunen möglich machen. Auch von Clan-Mitgliedern. Und auch von Angehörigen dieser Großfamilien, die nicht wegen Verbrechen verurteilt wurden. Das geht aus einem öffentlichen Diskussionspapier des Bundesinnenministeriums hervor.

Dort heißt es auf Seite 18, dass „Angehörige von Gemeinschaften der Organisierten Kriminalität“ ihren Aufenthaltstitel in Deutschland verlieren können – „unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung“. Auf Nachfrage der „Süddeutschen Zeitung“ bestätigte eine Sprecherin das Ziel, auf diese Weise „Angehörige sogenannter Clan-Strukturen künftig leichter abschieben zu können“.

Kritische Fragen an Faeser: Wann gilt ein Mensch als Unterstützer eines „Clans“?

Der Vorstoß von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und den Ländern ist brisant. Und sorgt unter Fachleuten für kritische Nachfragen. Schon jetzt können Kriminelle abgeschoben werden. Schon jetzt gilt als ausreisepflichtig, wer als Unterstützer von Terroristen im Visier der Fahnder landet. Wer etwa einen Verein oder eine Moschee unterstützt, der oder die an eine Terrorgruppe gespendet hat, kann ohne gesonderte Verurteilung pauschal das Aufenthaltsrecht verlieren – auch ohne je zuvor der Polizei aufgefallen zu sein. Nun soll diese Regelung auch für andere Vereinigungen, wie etwa „Clans“ gelten. In den vergangenen Jahren waren die rechtlichen Möglichkeiten für Ausländerbehörden bereits immer wieder erweitert worden, Menschen die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen – auch ohne Richterspruch.

Doch wann gilt ein Mensch als Unterstützer eines „Clans“? Schon der Begriff „Clan“ ist nicht einheitlich in den Bundesländern definiert und auch umstritten. Klar ist, der Nachname „Abou-Chaker“ oder „Remmo“ allein reicht nicht, um abgeschoben zu werden.

Das Ministerium veröffentlicht den Vorstoß – und will ihn nun rechtlich erst prüfen

Seit einigen Jahren sammeln die Behörden in Berlin, Nordrhein-Westfalen und auch das Bundeskriminalamt Daten zu straffälligen Mitgliedern der Großfamilien. Doch alle stellen klar: Sie registrieren nur die Kriminellen – nicht diejenigen, die nicht mit Straftaten auffallen. Welche Behörde soll Bund und Ländern also die Namen und Daten von bisher nicht kriminellen Clan-Mitgliedern liefern? Vieles bleibt unklar am Entwurf aus dem Faeser-Ministerium – offenbar auch für Faesers eigene Fachleute. Das Ministerium erklärte auf Nachfrage, die Pläne müssten noch rechtlich geprüft werden.

Prominenter Fall in Dresden: Mohamed R. wird vom Gericht verurteilt für einen Schmuckraub im Grünen Gewölbe in Dresden. R. gehört zu einem Clan-Netzwerk in Berlin.
Prominenter Fall in Dresden: Mohamed R. wird vom Gericht verurteilt für einen Schmuckraub im Grünen Gewölbe in Dresden. R. gehört zu einem Clan-Netzwerk in Berlin. © Getty Images | MATTHIAS RIETSCHEL

Der Kriminologe Thomas Feltes spricht von „Populismus pur“ und sagt: „Statt den nichtkriminellen Familienmitgliedern die Hand zu reichen, erklärt man ihnen den Krieg“, von dem man wisse, „dass man ihn nicht gewinnen kann“.

Linksfraktion kritisiert Ministerin: „Von allen guten Geistern verlassen“

Die Linksfraktion übt ebenfalls scharfe Kritik: „Wenn Innenministerin Faeser wirklich Menschen aus dem alleinigen Grund abschieben lassen will, dass ihre Angehörigen mutmaßlich oder tatsächlich Teil der organisierten Kriminalität sind, ist sie von allen guten Geistern verlassen“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Fraktion im Bundestag, Clara Bünger, unserer Redaktion. Sie spricht von „offenkundig rechtsstaatswidrigen Plänen“, wenn Menschen abgeschoben würden, ohne dass sie gegen ein Gesetz verstoßen würden.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßt grundsätzlich die Pläne von Bund und Ländern, schnelle Abschiebungen von Clan-Mitgliedern durchzusetzen. Zugleich knüpft die Gewerkschaft die Rückführung von nicht-kriminellen Familienangehörigen aber an Bedingungen. „Zum einen ist zu prüfen, ob Personen aufgrund eines Familiennachzuges zu einem auszuweisenden Straftäter ein Aufenthaltsrecht erworben hatten. Ist das der Fall, bleibt zu bewerten, ob die Familie mit ihrem früheren Einreisegrund nun gemeinsam wieder das Land verlassen muss, um die Familie nicht zu trennen, oder inzwischen ein entstandenes eigenständiges Bleibeinteresse überwiegt“, sagte der stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Sven Hüber unserer Redaktion.

Zum anderen spiele es eine Rolle, „ob Familienangehörige den bisherigen Lebensunterhalt vorrangig aus den kriminellen Erträgen des auszuweisenden Straftäters bestritten haben oder auf eigenen wirtschaftlichen Füßen stehen“, so Hüber. Der Fall „Abdullah Abou-Chaker“ zeigt, wie groß der Aufwand einer Abschiebung für die Behörden selbst bei schwer kriminellen Clan-Mitgliedern ist. Jahrelang war es nicht gelungen, weil seine Staatsangehörigkeit als „ungeklärt“ galt. Kein Einzelfall, berichten Ermittler und Behördenmitarbeiter unserer Redaktion.