Berlin. Kanzler Scholz ruft die Länder am Mittwoch zum Flüchtlingsgipfel. Im Vorfeld gab es vor allem eines: Streit. Doch nicht nur.

Alle gegen die Bundesregierung, alle gegen den Kanzler: Kurz vor dem Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern ist es einsam um die Ampel-Regierung und deren Chef Olaf Scholz (SPD) geworden. Bei dem Treffen am Mittwoch soll es um den künftigen Kurs in der Flüchtlingspolitik gehen.

Strittig ist insbesondere die Aufteilung der Kosten. Die Bundesländer fordern mehr Geld und haben sich gemeinsam in Stellung gegen die Berliner Regierung gebracht – ganz unabhängig davon, welches Parteibuch der jeweilige Ministerpräsident hat. In der rot-grün-gelben Regierungskoalition werden erste Absetzbewegungen deutlich. Und jetzt schlägt Scholz und seiner Innenministerin Nancy Faeser (ebenfalls SPD) auch noch Kritik aus der eigenen Partei entgegen. Ein Überblick.

Flüchtlingsgipfel am 10. Mai: Worum geht es genau?

Scholz kommt um 14 Uhr im Kanzleramt mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer zusammen. Dabei sollen „aktuelle Fragen in der Flüchtlingspolitik“ erörtert werden, wie es von Regierungsseite lapidar heißt. Die Stimmung ist angespannt, seit Tagen lancieren beide Seiten Papiere, um ihre Position deutlich zu machen. Es geht ums Geld – aber zum Beispiel auch um die Frage, wie Asylverfahren beschleunigt und Abschiebungen vereinfacht werden können.

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Der Druck ist immens: Im vergangenen Jahr hat Deutschland 1,2 Millionen Schutzsuchende aufgenommen. Der weitaus größte Teil von ihnen kam aus der Ukraine. Aber auch die Zahl der Flüchtlinge aus Drittstaaten wie Syrien oder Afghanistan nimmt wieder deutlich zu. In den ersten drei Monaten des laufenden Jahres registrierten die Behörden rund 81.000 Erstanträge auf Asyl. Das entsprach gegenüber dem Vorjahreszeitraum einer Zunahme um 80 Prozent.

Etliche Kommunen sind mit dem Zustrom überfordert. Gemeinsam mit den Ländern fordern sie mehr Geld vom Bund, was dieser zurückweist. Er argumentiert, dass er trotz eines Haushaltsdefizits bereits im großen Stil helfe. Die Länder, die in der Summe wieder Haushaltsüberschüsse verzeichneten, seien nach dem Grundgesetz für die Finanzsituation der Kommunen verantwortlich. In den Städten und Gemeinden fehlt vieles, was für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen erforderlich ist. Zum Beispiel Unterkünfte, Wohnungen, Beratungsangebote, Kitas oder Schulplätze.

Wer macht beim Flüchtlingsgipfel Druck auf den Kanzler?

Die Bundesländer haben die Reihen geschlossen und ein gemeinsames Papier erarbeitet, mit dem sie am Mittwoch in die Gespräche gehen wollen. Die bisherigen Finanzzusagen des Bundes würden „den steigenden Zahlen von Flüchtenden nicht gerecht“, heißt es darin. Und weiter: „Es bedarf eines Finanzierungsmodells, das der Höhe nach angemessen ist und sich verändernden Flüchtlingszahlen anpasst (atmendes System).“ Den Vorsitz in der Ministerpräsidentenkonferenz hat gerade der Niedersachse Stephan Weil (SPD) inne, eigentlich ein getreuer Scholzianer.

Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, gibt ein Pressestatement im Vorfeld der Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz.
Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, gibt ein Pressestatement im Vorfeld der Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz. © dpa | Fernando Martinez

In dieser Auseinandersetzung scheint Weil und den anderen sozialdemokratischen Länder-Regierungschefs aber das Hemd näher zu sein als der Rock. Sie haben vor allem die krisenhafte Situation in den Kommunen im Blick. Denen fehlen nach eigenem Bekunden allen jedes Jahr zwei Milliarden Euro für die Unterbringung anerkannter Flüchtlinge. Auch in der Ampel-Koalition rumort es: Grünen-Chefin Ricarda Lang hatte am Wochenende die Regierungslinie verlassen und mehr Geld für die Kommunen verlangt.

Was sagt die SPD?

Die Chefin der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos, Jessica Rosenthal, ging am Dienstag auf Konfrontationskurs zur Bundesregierung und zum Kanzler. „Menschlichkeit und humanitäre Verpflichtung spielen in der aktuellen Debatte keine Rolle. Stattdessen spricht die Bundesregierung über Haftlager an den EU-Außengrenzen und schnellere Abschiebungen, das ist einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung unwürdig“, sagte Rosenthal unserer Redaktion. Sie ergänzte: „Wir verurteilen insgesamt diese Abschottungsdebatte, die an Schäbigkeit kaum mehr zu überbieten ist.“ Ein Abschottungskurs in Europa sei „weder mit dem europäischen Gedanken noch den Werten der SPD zu vereinbaren“.´

Rosenthal spielte damit auf den Plan der sozialdemokratischen Innenministerin Nancy Faeser an, künftig direkt an den EU-Außengrenzen über Asylverfahren zu entscheiden. Die Juso-Chefin stellte sich auch auf die Seite der Kommunen und forderte vom Bund, Städte und Gemeinden finanziell stärker zu unterstützen. „Natürlich ist auch der Bund in der Pflicht, die Herausforderung an der Seite der Kommunen zu stemmen.“

Thüringens Innenminister Georg Maier, ebenfalls ein Sozialdemokrat, sagte unserer Redaktion: „Die Landkreise und Kommunen vor Ort tragen die Hauptlast bei der Versorgung der Geflüchteten. Anders als der Bundesregierung behauptet, schwimmen die Kommunen nicht im Geld.“ Maier ergänzte, die Kosten für die Unterbringung und der Versorgung von Menschen auf der Flucht seien enorm und insbesondere seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gestiegen „Ich plädiere daher auch für eine Rückkehr zur Pro-Kopf-Pauschale, die der Bund an Länder und Kommunen zahlt. Das ist eine faire Lösung.“

Gibt es überhaupt einen Punkt, an dem sich Bund und Länder einig sind?

Jenseits der Finanzfragen gibt es einige Themen, bei denen eine Verständigung zwischen Bund und Ländern möglich erscheint. In ihren jeweiligen Entwürfen der Beschlusspapiere unterstreichen beide Seiten etwa, wie wichtig es ist, Asylverfahren inklusive der Akten zu digitalisieren. Auf diese Weise können die Behörden schnellere Entscheidungen herbeiführen. Auch der Plan von Innenministerin Faeser, Asylverfahren bereits an den EU-Außengrenzen abzuwickeln, findet bei den Ländern Unterstützung.

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Dafür bräuchte es aber eine Vereinbarung der EU-Mitgliedstaaten, die es bisher noch nicht gibt. Bund und Länder wollen die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber beschleunigen. Zur Debatte steht auch, weitere Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Das sehen vor allem die Grünen skeptisch. Bewegung könnte es aber im Falle von Georgien und Moldau geben, die beide eine EU-Beitrittsperspektive haben.

Ist beim Thema Geld eine Verständigung möglich?

Das ist vollkommen unklar. Die Positionen von Bund und Ländern lagen hier bis zuletzt weit auseinander. Der Bund rechnet vor, dass er im vergangenen Jahr insgesamt 15 Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe aufgewendet habe. Im laufenden Jahr dürften es demnach 15,6 Milliarden Euro werden. Es gibt Direktzahlungen an die Länder, 2023 sollen es 2,75 Milliarden Euro sein.

Der Bund argumentiert, er verzichte darüber hinaus etwa auf einen erheblichen Teil des Umsatzsteuer-Aufkommens, um Länder und Kommunen zu entlasten. Außerdem übernehme er Sozialleistungen und stelle bundeseigene Immobilien für die Unterbringung zur Verfügung. Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Weil warf dem Bund vor, mit Zahlen zu arbeiten, „die in vielerlei Hinsicht angreifbar sind“. In einem Papier der Länder-Finanzminister heißt es: „Ein Großteil der Leistungen des Bundes sind befristet und fallen ab 2024 weg.“