Berlin. Die Ampel erinnert sich an ihr Fortschrittsvorhaben und teil-legalisiert Cannabis. Damit stellt sie sich der Realität in Deutschland.

Da schimmert es noch durch, das Versprechen von der Fortschrittskoalition: Ohne langen öffentlichen Streit, ohne verletzungsreiche parteipolitische Grabenkämpfe haben SPD, Grüne und FDP die Legalisierung von Cannabis auf den Weg gebracht – jedenfalls ein bisschen.

Ein wenig ungelenk ist die Vereins-Lösung, die Minister Karl Lauterbach (Gesundheit, SPD) und Cem Özdemir (Ernährung, Grüne) da am Mittwoch präsentiert haben, ein bisschen bescheidener als der große Paradigmenwechsel, den die Partner einmal angestrebt hatten. Revolution light.

Ausnahmsweise liegt das nicht daran, dass man sich innerhalb der Koalition auf den Minimalkonsens geeinigt hat, sondern an der Europäischen Union – die nämlich war von den ursprünglichen Plänen nicht begeistert gewesen. Gut, dass Lauterbach und seine Kabinettskollegen sich davon nicht haben abschrecken lassen und einen Weg gesucht haben, der funktionieren kann.

Die Realität ist: In Deutschland wird gekifft

Denn die Entkriminalisierung war überfällig. Die Realität ist: In Deutschland wird gekifft. Auf dem Land, in der Stadt, quer durch alle Milieus und Bundesländer. Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland, in den vergangenen zwölf Monaten haben viereinhalb Millionen Menschen mindestens einmal gekifft. Von einem Nischenphänomen kann also keine Rede sein.

Theresa Martus / Funke Mediengruppe
Theresa Martus / Funke Mediengruppe © Reto Klar | Reto Klar

Doch die bisherige Gesetzeslage und das Alltagserleben vieler Menschen klafften bisher weit auseinander. Dass sich das jetzt ändert, ist gut. Der Vorschlag der Koalition nimmt Bürgerinnen und Bürger ernst und traut ihnen zu, Risiko und Rausch bei Cannabis ebenso eigenständig gegeneinander abzuwägen, wie das bei Alkohol als selbstverständlich gilt. Die Teil-Legalisierung macht deshalb Hoffnung auf eine ehrlichere, konstruktivere Diskussion über Drogenkonsum und Suchtgefahren. Die muss verbunden sein mit mehr Prävention, mehr Aufklärung und mehr Angeboten in der Suchthilfe.

Der Umweg über die Vereins-Lösung, mit der kein Geld verdient werden darf, hat außerdem den Vorteil, dass niemand einen finanziellen Anreiz hat, den Kreis der Konsumierenden um jeden Preis auszuweiten.

Viele Fragezeichen sind noch offen – vor allem beim Jugendschutz

Eine lange Liste an Details bleibt allerdings noch zu klären. Wie will man etwa künftig damit umgehen, dass THC-Rückstände bei Tests im Straßenverkehr häufig auch dann noch nachweisbar sind, wenn der Konsum tagelang her und die Person am Steuer längst wieder nüchtern ist? Wie viele Cannabis-Clubs kann man effektiv kontrollieren? Und wie stellt man sicher, dass den geplanten Modellregionen ein Ansturm von Cannabis-Touristen erspart bleibt?

Das vielleicht größte Fragezeichen steht hinter dem Jugendschutz. Der funktioniert freilich schon jetzt eher schlecht. 2021 hatte fast ein Zehntel der 12- bis 17-Jährigen schon einmal gekifft, der Anteil lag damit deutlich höher als noch 2011.

Ob die Kiffer-Clubs, die Lauterbach und seine Kabinettskollegen planen, diesen Trend wirklich umkehren können, ist fraglich. Die Hoffnung des Gesundheitsministers, dass Dealer weniger motiviert sind, an 16-Jährige zu verkaufen, nur weil die zwei Jahre später legal an Gras kommen, ist zumindest sehr optimistisch. Und bei allem Vertrauen in die deutsche Begeisterung für das Vereinsleben ist auch nicht davon auszugehen, dass die Cannabis-Clubs den Schwarzmarkt völlig trockenlegen werden.

Ein Fortschritt sind sie trotzdem. Und solche wollte diese Koalition ja einmal machen.