Seoul. Nordkorea soll Teenager für den Konsum südkoreanischer TV-Serien hingerichtet haben – es zeigt, wie stark Pjöngjang unter Druck steht.

Dass es in Nordkorea verboten ist, Popmusikvideos, Filme oder TV-Serien aus Südkorea anzusehen, geschweige denn zu verbreiten, dürfte niemanden überraschen. Schließlich gilt das liberale Südkorea für Nordkorea – regiert von einer autokratisch ausgerichteten Kommunistischen Partei – als Klassenfeind. Aus Perspektive des Nordens ist popkulturelles Material aus dem Süden feindliches Propagandamaterial. Und dessen Einfuhr gilt als ein schweres Vergehen.

Exekution und Verbannung in Nordkorea: Neuer Report offenbart schockierende Zahlen

Wer erwischt wird, muss dies offenbar sogar mit dem Leben bezahlen. Zu diesem Schluss kommt ein Report, den am Freitag die südkoreanische Regierung in Seoul veröffentlicht hat. Auf 450 Seiten dokumentiert Südkoreas Ministerium für Vereinigung rund 1.600 Menschenrechtsverletzungen, die von Folter bis zu Hinrichtungen reichen. Erlaubt wird das durch ein Gesetz von 2020, durch das der illegale Import und die Verbreitung ausländischer Kulturgüter mit zehn Jahren Straflager geahndet wird.

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Laut dem Report findet das Gesetz durchaus Anwendung. So seien im Jahr 2015 sechs Teenager in der Hafenstadt Wonsan im Osten Nordkoreas exekutiert worden, nachdem sie südkoreanische Videos angesehen und Opium konsumiert hatten. Zwei Jahre später wurde demnach eine schwangere Frau öffentlich hingerichtet, nachdem Aufnahmen von ihr die Runde gemacht hatten, auf denen sie tanzend mit dem Finger auf Kim Il-sung zeigte, der Nordkorea in erster Generation regierte. Das sind nur die Extremfälle. Üblicher ist die Verbannung in Arbeitslager, von denen Nordkorea aktuell fünf unterhält.

In Nordkorea gilt popkulturelles Material aus dem Süden als feindliche Propaganda.
In Nordkorea gilt popkulturelles Material aus dem Süden als feindliche Propaganda. © AFP | KIM WON JIN

Leben in Nordkorea immer gefährlicher: Der Diktatur droht schlimme Hungerkatastrophe

Seit Jahren veröffentlicht auch die NGO „Transitional Justice Working Group“ aus Seoul ähnliche Daten. Die Informationen beruhen auf Befragungen von Personen, die aus Nordkorea geflohen sind – also auf eher befangenen Quellen, sodass die Daten mit Vorsicht zu genießen sind. Dass nun auch der südkoreanische Staat entsprechende Informationen veröffentlicht, verleiht ihren Schilderungen aber Nachdruck.

Der Bericht aus Seoul ist auch deshalb brisant, weil er ein krasses Spannungsfeld in der nordkoreanischen Politik offenlegt. Seit Monaten ist die Ernährungssituation in Nordkorea angespannt. Beobachter von außen befürchten eine nahende Hungerkatastrophe. Ursache dafür sind nicht nur die verschärften UN-Sanktionen wegen der wiederholten Raketentests, durch die Nordkorea in weiten Teilen vom Welthandel abgeschnitten ist. Auch die Pandemie und strenge Grenzschließungen haben der Warenaustausch mit den wohlgesonnenen Nachbarn Russland und China einbrechen lassen.

Drohende Hungersnot in Nordkorea: Was Machthaber Kim Jong-un jetzt ändern möchte

Wiederholt hat sich Regierungschef Kim Jong-un seit der Pandemie auf apologetische Weise an die Öffentlichkeit gewandt und eingestanden, dass die ökonomische Lage im Land nicht den Zielen der Parteiführung entspricht. Ende Februar mahnte Kim an, dass die Landwirtschaft dringend effizienter werden müsse – wohl, um die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Südkoreanische Medien berichten, dass die Essensrationen für Soldaten zuletzt reduziert wurden, was auf akuten Mangel hindeutet.

Inzwischen sieht das streng auf seinen Führer ausgerichtete Regime seine Legitimität bedroht. Und um von den eigenen Problemen abzulenken, hilft es, Feinde zu haben. Außerhalb der Staatsgrenzen gehören hierzu die USA, Japan und Südkorea, gegen die Pjöngjang mit Raketentests und anderen Drohgebärden eine kriegerische Symbolpolitik ausübt. Die Botschaften richten sich aber auch an die eigene Bevölkerung. Die Bedrohung, so die Erzählung, komme von außen und verhindere den Aufstieg des Landes.

Katastrophale Rechtsprechung in Nordkorea: Berichte zeigen –Teenager haben keine Chance

Ähnlich verhält es sich mit Feinden von innen, also Straftätern in Nordkorea selbst: Auch sie gelten als Bedrohung für die Ziele von Staat und Gesellschaft. Wer etwa K-Popvideos aus Südkorea ins Land schleust, kann schnell als Agent des Südens dastehen, der die gemeinschaftlichen Werte des Nordens untergraben und kapitalistischen Individualismus verbreiten wolle.

Ob aber ein paar Teenager, die südkoreanische Musik oder Serien konsumieren, politische Motive hatten oder einfach neugierig waren, ist laut der „Transitional Justice Working Group“ nicht mehr zu klären. Scott Stevens, der für die NGO arbeitet, fasst die Rechtsprechung, von der ihm Geflüchtete berichtet haben, so zusammen: „Einen richtigen Prozess erhalten die Beschuldigten nicht. Die Anklage wird vorgelegt, dann wird das Urteil gefällt, und dann werden sie erschossen.“