Erfurt/Berlin. Der einst von der AfD zum Ministerpräsidenten gewählte Kemmerich findet Mehrheiten mit der Höcke-Partei nach wie vor nicht schlimm.

Diese Woche saß Thomas Kemmerich in einer Show des Internet-Kanals des früheren „Bild“-Chefredakteurs Julian Reichelt. Es ging unter anderem darum, wie mit einer immer stärker wirkenden AfD umzugehen sei.

Der Thüringer FDP-Chef sagte, dass es dem linken Lager ganz zupass käme, dass AfD-Stimmen in den Parlamenten de facto wertlos seien. Doch von dieser Taktik sollten sich die bürgerlichen Parteien „nicht ins Bockshorn jagen“ lassen: „Wir brauchen politische, gute Ideen aus der Mitte – und wenn die dann eine Mehrheit finden, trotz oder mit der AfD, dann ist die Mehrheit halt da.“

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„Dann ist die Mehrheit halt da“: So war es auch am 5. Februar 2020, als Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde – und die Wahl annahm. Tags darauf leitete er bereits seinen Rücktritt ein. „Demokraten brauchen demokratische Mehrheiten“, sagte er damals. Er sei, leider, auf den „perfiden Trick“ der AfD hereingefallen.

Drei Jahre später führt Kemmerich nach wie vor die Landespartei und die Abgeordneten im Landtag. Und er will auf dem Landesparteitag am Samstag seinen Anspruch bekräftigen, bei der Landtagswahl 2024 auf Platz 1 der Landesliste anzutreten.

Kemmerich redet wie vor dem „Dammbruch von Erfurt“

Den Beschluss des Bundesvorstands vom Herbst 2020, der sich gegen eine erneute Spitzenkandidatur Kemmerichs wendete, sieht er als verjährt an. Das Votum, sagte er dieser Redaktion, habe nur für die damals geplante, aber später abgesagte Neuwahl des Landtags gegolten. Hingegen teile die Bundespartei auf Anfrage mit: „Der angesprochene Beschluss des Präsidiums der FDP vom 9. Oktober 2020 gilt.“

Kemmerich redet wieder so wie vor dem sogenannten Dammbruch von Erfurt. Er spricht von den Vorzügen wechselnder Mehrheiten und davon, dass es 2024 vor allem gelte, den linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und dessen rot-rot-grüne Minderheitskoalition abzulösen. Am liebsten wolle er dann eine Koalition mit CDU und SPD bilden. Mit den Grünen sei eine Regierung „nicht vorstellbar“ – und mit Linken oder AfD sowieso nicht.

Der 05. Februar 2020 in Erfurt: Der AfD-Politiker Björn Höcke gratuliert dem neuen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich.
Der 05. Februar 2020 in Erfurt: Der AfD-Politiker Björn Höcke gratuliert dem neuen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich. © dpa | Bodo Schackow

Kemmerich: Abstimmung mit der AfD ist keine Zusammenarbeit

Dass für sein Wunschbündnis keine Mehrheit zu erkennen ist, stört ihn nicht. Bis zur Landtagswahl könne noch viel geschehen, sagt er. Und falls nicht, müssten eben Linke und Grüne das tun, was jetzt die CDU und gelegentlich seine FDP tue: Für die Gesetzentwürfe der Minderheitsregierung stimmen.

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Was die AfD betrifft, steht Kemmerich zu seiner Aussage in der Talkshow. Allerdings bitte er darum, vollständig zitiert zu werden: „Ich habe wie immer klar gesagt, dass ich jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließe.“ Eine Abstimmung mit der von Björn Höcke geführten Fraktion – selbst wenn sie zuletzt zur Durchsetzung eines Gesetzes gegen Rot-Rot-Grün führte – sei keine Zusammenarbeit.

Die Thüringen-FDP steht zu Thomas Kemmerich

Kemmerich scheint von einer politischen Teflon-Schicht überzogen. Dass er seine Wahl durch die AfD annahm, dass er während der Pandemie auf einer teils extremen Demonstration auftrat und dass er seinen Sitz im Erfurter Stadtrat gerichtlich verlor sowie die FDP im Landtag ihren Fraktionsstatus einbüßte: Das alles ließ er an sich abperlen.

Die Thüringer Liberalen bestätigten Kemmerich seit dem Großdebakel von 2020 zweimal im Amt des Landeschefs. Insofern kann es dem Ministerpräsident a. D. egal sein, dass ihn jetzt Linke, SPD oder Grüne wieder empört kritisieren: Seine Thüringer Partei steht zu ihm.