Washington. Was für ein Überraschungserfolg für US-Präsident Joe Biden: Die Demokraten behalten nach den Zwischenwahlen im Senat die Mehrheit.

Normalerweise ist es so: Ein US-Präsident versieht im Ausland seine Staatsgeschäfte. Und daheim bricht die missgünstige Opposition einen künstlichen Skandal vom Zaun, der den Amtsinhaber viele Zeitzonen entfernt gegenüber der Presse dazu zwingt, in die Niederungen innenpolitischer Querelen hinabzusteigen.

Am Wochenende war es umgekehrt. Das Schicksal meinte es sehr gut mit Joe Biden. In einem Hotel in Phnom Penh (Kambodscha) erfuhr der Demokrat, dass ihm eine klitzekleine Mehrheit der Wahlbürger von Nevada bei den Midterms für die restlichen zwei Jahre seiner Amtszeit neuen Sauerstoff zugestanden hat.

Durch den hauchdünnen Sieg der Amtsinhaberin Catherine Cortez Masto gegen ihren republikanischen Herausforderer Adam Laxalt behalten die Demokraten im Senat von Washington gegen die Prognosen vieler Demoskopen die Mehrheit. In dem 100-köpfigen Gremium, durch das alle wichtigen Gesetze und Personalentscheidungen müssen, steht es augenblicklich 50:49.

Stichwahl in Georgia könnte komfortable Mehrheit für Biden bringen

Sollte die für den 6. Dezember angesetzte Stichwahl im Bundesstaat Georgia zwischen Herschel Walker (Republikaner) und Raphael Warnock (Demokraten) ebenfalls für die Regierungspartei ausgehen, wäre eine noch komfortablere 51:49-Mehrheit besiegelt.

Andernfalls würde wie bei der bisherigen Patt-Situation von 50:50 Vizepräsidentin Kamala Harris als Vize-Chefin des Senats das Zünglein an der Waage für die Demokraten spielen.

Biden reagierte erleichtert über die Nachricht aus der Heimat, verfiel aber nicht in Euphorie: „Ich fühle mich gut. Ich freue mich auf die nächsten paar Jahre”, sagte er am Rande des Gipfeltreffens der Asean-Staaten. Biden, seit Jahrzehnten auch in widriger Lage Berufs-Optimist, hatte die düsteren Prophezeiungen der Meinungsforscher vor den Kongresswahlen mehrfach so abgetan: „Ich habe einfach ein gutes Gefühl.”

Die Nachricht aus Nevada verdrängte kurzzeitig einen der typischen Biden-Patzer aus den Schlagzeilen. Der Präsident hatte sich in Phnom Penh vor laufender Kamera beim kambodschanischen Regierungschef Hun Sen dafür bedankt, dass „Kolumbien” (in Südamerika) dieses Jahr den Vorsitz der Asean-Gruppe übernommen hat – er meinte aber eigentlich Kambodscha.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Unterlegener Republikaner teilte Trumps Lüge vom Wahlbetrug

Chuck Schumer, der alte und neue starke Mann im Senat, sprach von „Ehrenrettung” für seine Partei und von einer Bestätigung der Politik des Präsidenten. Der Wähler habe die „anti-demokratischen, extremistischen Kandidaten” Donald Trumps zurückgewiesen. Adam Laxalt, der unterlegene Kandidat in Nevada, fuhr auf dem Ticket von Ex-Präsident Donald Trump und teilte dessen Lüge vom Wahlbetrug bei der Präsidentschaftswahl 2020.

Auch interessant: Ron DeSantis: Wer ist der „Trump ohne den Wahnsinn“?

Dass die Republikaner nicht die Mehrheit im Senat erringen konnten, hat große Auswirkungen. Biden wird bis Januar 2025 weiter hohe Richter-Posten und Top-Funktionen in Kabinett und Regierungs-Agenturen mit „seinen Leuten” besetzen können.

Recht auf Abtreibung: Demokraten können im Senat weitere Einschränkungen stoppen

Sollten die Republikaner das Repräsentantenhaus, die andere Kammer des US-Kongresses holen, und dort Untersuchungsausschüsse gegen die Demokraten (wegen Afghanistan-Abzug, Corona-Pandemie oder Präsidenten-Sohn Hunter Biden) vom Zaun brechen, kann der Senat mit Gegenmaßnahmen aufwarten. Ein Amtsenthebungsverfahren gegen Biden, wie es etliche Republikaner bereits annonciert haben, ist damit schon heute zum Scheitern verurteilt.

Außerdem können die Demokraten im Senat durch ihre Mehrheit alle Anstrengungen der Republikaner abwehren, das Recht auf Abtreibung landesweit noch weiter auszuhöhlen.

Weiterlesen: Midterms: Das bedeutet die US-Wahl für den Ukraine-Krieg

Im „House”, wo 435 Sitze zu vergeben sind und das Mehrheits-Quorum bei 218 Stimmen, liegt, wird in über 20 Rennen, vor allem in Kalifornien, noch intensiv ausgezählt. Nach Berechnung der Nachrichten-Agentur AP, die in den USA das Maß aller Dinge ist, kamen die Republikaner (Stand: Ortszeit Sonntagmorgen) auf 211 Sitze, die Demokraten auf 204. Bis zum Endergebnis in etlichen Kopf-an-Kopf-Rennen kann es noch mehrere Tage dauern.

Der Trend ist hier unverändert: Eine knappe Republikaner-Mehrheit ist nach übereinstimmenden Analysen von US-Leitmedien immer noch wahrscheinlicher als ein Sensationserfolg der Demokraten, die damit Geschichte schreiben würden: Seit Jahrzehnten ist es Standard, dass die Regierungspartei bei den Midterms im Schnitt 25 Sitze im Repräsentantenhaus abgeben muss.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

„Der Schuss von Trump ging völlig nach hinten los”

Ganz ausschließen kann man nach Angaben der Wahl-Mathematiker von „New York Times” und „Washington Post” einen Last-Minute-Erfolg der Demokraten aber nicht. Mögliches Indiz: Im Bundesstaat Washington konnte die Demokratin Marie Gluesenkamp Perez völlig überraschend den radikalen Republikaner Joe Kent schlagen. Kent war von Donald Trump und seinen Getreuen im Vorwahl-Wahlkampf als Ersatz für den republikanischen Amtsinhaber Jaime Herrera Beutler durchgedrückt worden – zur Strafe.

Beutler hatte Anfang 2021 nach dem blutigen Sturm aus Kapitol als einer von wenigen Konservativen für die Amtsenthebung von Donald Trump gestimmt. „Der Schuss von Trump ging völlig nach hinten los”, sagte gestern ein republikanischer Funktionär in Washington.

Für den Ex-Präsidenten, der am Dienstag in Mar-a-Lago offiziell seine Präsidentschaftskandidatur für 2024 bekanntgeben will, gilt der Verlust des Senats nach Ansicht von Analysten als „weiterer Sargnagel”.

Aus Trump-Kreisen wird unterdessen der Zeigefinger auf Mitch McConnell gerichtet. Der mächtigste Republikaner im Senat, der mit Trump unheilbar verfeindet ist, habe zu wenig Finanzhilfe für die Trump-Kandidaten bewilligt, heißt es. Konsequenz: McConnell müsse weg. Der Ausgang dieser Personalie wird viel darüber verraten, wie viel Macht Trump noch bei den Republikanern hat.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.