Tel Aviv. Am Dienstag wählt Israel ein neues Parlament. Benjamin Netanjahu will um jeden Preis zurück an die Macht – auch mit Rechtsextremen.

Ein freundlicher, älterer Mann, der Schreibabys zum Schlummern bringt und ehrliche Kleinunternehmern vor dem Bankrott rettet: Das ist Benjamin Netanjahu, wenn man seinen Wahlvideos Glauben schenkt. Man sieht den 73-Jährigen leger im Polohemd, wie er Menschen wie du und ich zuhause besucht und in einer Welt voll Angst vor Krieg, Klimakrise und steigenden Lebensmittelpreisen wieder Hoffnung sät.

Netanjahu, der Mann, der Israel länger regiert hat als jeder andere Premierminister zuvor, strebt wieder an die Macht. Sechzehn Monate lang musste er es nun einer anderen Regierung von der Oppositionsbank aus zuzusehen. Die „Regierung des Wandels“, die Israel aus den Fängen Netanahus befreien wollte, war im Juni 2021 angetreten. Doch ihr Experiment ist gescheitert.

Israel: Fünfte Parlamentswahl innerhalb von vier Jahren

Netanjahus hartnäckiger Versuch, einen Keil in die Acht-Parteien-Koalition zu treiben, trug Früchte. Nun wählt Israel am Dienstag ein neues Parlament. Es ist die fünfte Wahl binnen vier Jahren.

Viele Israelis reagieren darauf mit Apathie, manche mit zynischem Humor. „Es gibt in diesem Land mittlerweile mehr Wahltage als Regentage“, scherzt Gemüsehändler Yehuda, während er vor einem Laden in Haifa seine Papayas auslädt. Ob er wieder wählen wird? „Ja, sicher“, sagt er. Er wolle sicherstellen, dass das Land „wieder von den richtigen Leuten regiert wird“. Wen er damit meint? „Was für eine Frage“, sagt Yehuda. „Natürlich Bibi.“

Bibi, so wird Netanjahu von Freunden und Feinden genannt. Und das ist auch der Titel seiner Autobiografie, die vor kurzem erschienen ist. Darin lobt sich Netanjahu als klugen Strategen, Wahrer alter Werte und mutigen Reformer. Nur er kann Israel regieren, so lautet seine Botschaft. Fast könnte man denken, dass es gar keine Partei ist, die sich mit Netanjahu als Spitzenkandidat zur Wahl stellt, sondern nur eine Person. Und diese Person spaltet das Land.

Netanjahus Gegner warnen davor, dass der Rechtskonservative Israels Demokratie zerstören wolle. Anzeichen dafür hatte es bereits gegeben. Da ist zum Beispiel Netanjahus Strafprozess. In einem laufenden Gerichtsverfahren wird dem Politiker Untreue, Bestechlichkeit und Betrug vorgeworfen. All diese Vorwürfe kratzen jedoch nicht an der Beliebtheit, die Bibi bei seinen Fans genießt.

Immer mehr einstige Verbündete wenden sich von Netanjahu ab

Seine Gegner werfen Netanjahu vor, er wolle die Israelis so oft an die Urnen zu bitten, bis sie ihm die gewünschte Mehrheit verschaffen. Zwar ist Netanjahus Likud-Partei immer noch die stärkste Partei im Parlament. Das hilft ihm aber wenig, denn immer mehr einstige Verbündete kehren Netanjahu den Rücken zu.

Die Hälfte der Parteien will keinesfalls mit Netanjahu in eine Koalition eintreten. Am Ende wird sich zeigen, wer standhaft bleibt – und wer sich von Verlockungen auf attraktive Ministerposten einwickeln lässt. Netanjahu hat bereits klargemacht, dass ihm alles recht ist, wenn er nur wieder an die Macht kommt.

Er geht sogar so weit, die ultra-rechtsextreme Partei „Jüdische Selbstbestimmung“ in die Regierung zu holen, wenn er gewählt wird. Deren Parteichef Itamar Ben Gvir wurde mehrmals verurteilt, unter anderem wegen Terrorunterstützung. Polizei und Geheimdienst werfen Gvir vor, mit seiner Hetze gegen Araber neue Gewalt zu schüren. Doch Netanjahu schließt nicht einmal aus, dass der Politiker Polizeiminister werden könnte. Hauptsache, Bibi kommt an die Macht.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.