Berlin. Immer mehr Flüchtlinge kommen über die Balkanroute. Der Westbalkanbeauftragte der Bundesregierung hat harte Forderungen an Serbien.

Harte Kante gegen den EU-Beitrittskandidaten Serbien: Der Westbalkanbeauftragte der Bundesregierung, Manuel Sarrazin (Grüne), im Interview:

Innenministerin Nancy Faeser ist besorgt, dass immer mehr Menschen über die Balkanroute nach Deutschland fliehen. Wie soll die Zahl begrenzt werden?

Manuel Sarrazin: Die Erhöhung der Zahlen hat unterschiedliche Ursachen. Zum einen sind Reisebeschränkungen durch Corona weggefallen, zum anderen hat sich die wirtschaftliche und politische Lage in einigen Herkunftsländern verschlechtert. Ein verstärkender Faktor ist auch die liberale Visapolitik Serbiens.

Zunächst ist es nun wichtig, dass die EU-Länder und auch Deutschland mit den Transitländern des Westbalkans reden und zusammenarbeiten – und das tun wir. Serbien spielt da eine Schlüsselrolle, aber es geht auch um Länder wie Nordmazedonien, Montenegro oder Bosnien-Herzegowina. Wir sind schon länger mit der Regierung in Belgrad im Gespräch, dass visafreie Einreisemöglichkeiten aus Drittstaaten aus Asien, Afrika oder Lateinamerika, die zur Weiterreise in die EU genutzt werden, eingeschränkt werden sollten. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić hat nun Anfang Oktober angekündigt, bis zum Ende des Jahres das serbische Visa-Regime den europäischen Standards anzupassen. Das ist ein wichtiger Schritt, denn das würde dazu beitragen, die Durchreisen durch Serbien zu verringern. Zur Umsetzung diese Zusage stehen mit den serbischen Stellen in einem engen Austausch.

Der Westbalkanbeauftragte der Bundesregierung, Manuel Sarrazin, am Heck des Rettungsschiffs „Lifeline
Der Westbalkanbeauftragte der Bundesregierung, Manuel Sarrazin, am Heck des Rettungsschiffs „Lifeline" der Hilfsorganisation Mission Lifeline. Das Bild stammt von 2018, damals war Sarrazin Abgeordneter der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. © dpa | Felix Weiss

Serbiens Präsident Vučić pflegt ein besonders enges Verhältnis zum russischen Staatschef Wladimir Putin. Ist das nicht ein Hindernis für den geplanten EU-Beitritt?

Sarrazin: Wir wollen, dass Serbien seine Außenpolitik immer mehr an die Außenpolitik der EU angleicht – so wie das auch in den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Belgrad und Brüssel vorgesehen ist. Das betrifft auch die EU-Sanktionen gegen Russland infolge des Ukraine-Krieges, die Serbien bislang nicht mitgetragen hat. Wir wollen sehen, dass Präsident Vučić hier seine Politik korrigiert. In der serbischen Abwägung wird dabei sicher auch die Frage eine Rolle spielen, wie viel ein völlig isolierter russischer Präsident zukünftig als Partner noch zu bieten hat. Das dürfte nicht mehr so viel sein.

Sehen Sie nach der Invasion in die Ukraine verstärkt russische Störversuche auf dem Balkan?

Sarrazin: Man muss erwarten, dass Russland, auf dem Westlichen Balkan noch stärker auf eine destruktive Politik setzt. Moskau will die europäische Zukunft der Region und die Anstrengungen zur Aussöhnung zwischen den Ländern torpedieren. Dennoch gehe ich davon aus, dass die EU auf dem Balkan immer noch das attraktivere Modell verkörpert. Das setzt aber voraus, dass das Versprechen der EU-Erweiterung gehalten wird und die konkreten Schritte hierzu umgesetzt werden. Das gilt für die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien ebenso wie für die Visa-Liberalisierung für Reisen aus Kosovo in die EU.

Was ist das größte Hindernis für einen Beitritt der Westbalkanländer in die EU?

Sarrazin: Das sind die rechtliche Angleichung sowie die gelebte Praxis von Rechtsstaatlichkeit. Wir werden uns beim Westbalkan-Außenministertreffen am 21. Oktober in Berlin zusammen mit unseren europäischen Partnern für den EU-Erweiterungsprozess engagieren. Uns geht es insbesondere darum, Projekte für einen gemeinsamen regionalen Markt, für Energie-Solidarität und die grüne Agenda spürbar voranzubringen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de