Im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern in Essen geht es vor allem um die aktuellen Krisen. Keine Einladung zur Beerdigung Gorbatschows.

Der Vorhang zu und alle Fragen offen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich auch vor 150 Bürgerinnen und Bürgern aus dem Ruhrgebiet keine konkreten Aussagen entlocken lassen, wie sie angesichts der Wirtschafts- und Energiekrise weiter entlastet werden sollen. Beim „Kanzlergespräch“ auf Zeche Zollverein in Essen kündigte er allerdings an, dass Bevölkerungsgruppen, die bislang zu kurz gekommen seien, durch ein weiteres Entlastungspaket finanziell unterstützt werden sollen.

"Bei der Energiekostenpauschale, da habt ihr die Rentner komplett vergessen", beklagte sich etwa ein WAZ-Leser bei Scholz. Von der einmaligen Pauschale in Höhe von 300 Euro hatten nur Erwerbstätige profitiert, die Einkommenssteuer zahlen. Der Kanzler versprach: "Diejenigen, die jetzt nicht profitieren, sollen durch das nächste Entlastungspaket Entlastung bekommen."

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Es fließen Tränen: Mehr Anerkennung für Pflege Angehöriger gefordert

Für die Pflege der Angehörigen müsse es mehr Anerkennung geben, forderte eine Bürgerin unter Tränen. "Es wird natürlich geschaut werden, wie man diese sehr tolle Leistung der pflegenden Angehörigen besser belohnen kann", sagte Scholz. Eine Leserin aus Duisburg fragte, wie es sein könne, dass in unserem Sozialstaat so viele arme Kinder und arme alte Menschen leben. Scholz reagierte darauf mit demonstrativer Zuversicht: „Wir haben eine gute Chance, uns das auch weiterhin leisten zu können, ein Sozialstaat zu sein." Kinderarmut müsse bekämpft werden.

Der Kanzler dankt für die offene Gesprächskultur

Die Stimmung auf Zeche Zollverein war konzentriert, die Fragen wurden sachlich und ruhig vorgetragen. Scholz hatte sich gleich zu Beginn dazu bekannt, dass solche Bürgergespräche „zu dem Liebsten gehören“, was er mache. Im Anschluss bedankte er sich bei den Anwesenden für die gute Gesprächskultur. 90 Minuten lang hatte sich der Kanzler den kritischen Fragen der Bürgerinnen und Bürger gestellt, die sich im Vorfeld für die Teilnahme bewerben konnten und ausgelost wurden.

Das „Kanzlergespräch“ ist ein Format, mit dessen Hilfe Scholz mit den Menschen in allen 16 Bundesländern ins Gespräch kommen will. Der Auftakt zur Reihe war Mitte Juli in Lübeck; vor einer Woche war er in Magdeburg.

Scholz bekräftigt: Hartz IV wird durch ein Bürgergeld ersetzt

In einem Interview mit unserer Zeitung, das am kommenden Samstag komplett erscheinen soll, hatte Scholz zuvor bekräftigt, Hartz IV zu Beginn des kommenden Jahres durch ein neues Bürgergeld zu ersetzen. Die Bundesagentur für Arbeit hatte hier massive Bedenken angemeldet. Der Zeitplan sei aus mehreren Gründen nicht realisierbar.

"Die Änderungen würden einen erheblichen Aufwand bedeuten", hieß es aus der Behörde. Scholz sagte zum angekündigten dritten Entlastungspaket, die Bundesregierung sei "sich einig, etwas für diejenigen tun zu wollen, die wenig Geld verdienen. Wir wollen das Wohngeld so reformieren, dass mehr Leute davon profitieren, und Hartz IV werden wir zu Beginn des kommenden Jahres durch das neue Bürgergeld ersetzen.“

In dem Interview schloss Scholz eine Teilnahme an der Beerdigung des verstorbenen früheren sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow de facto aus. „Es gibt keine Einladung zu dem Begräbnis, insofern stellt sich die Frage gar nicht", sagte er. Der Bundestag werde in der kommenden Woche eine Gedenkveranstaltung für Gorbatschow abhalten, "an der ich teilnehmen werde", fügte Scholz hinzu.

Essens OB Kufen: "Hier nimmt keiner ein Blatt vor den Mund"

Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), der den Kanzler bei der Ankunft auf Zeche Zollverein kurz begrüßt hatte, zeigte Anerkennung für das Format des Kanzlergesprächs. Das sei ein "echter Realitätscheck". Themen wie Rente und Pflege trieben die Menschen um. "Hier nimmt keiner ein Blatt vor den Mund."

Dieser Text erschien zuerst auf waz.de.