Den gesetzlichen Krankenkassen fehlen Milliarden. Das setzt die Koalition unter Druck: Dem Bündnis droht ein Verteilungskampf ums Geld.

Der Druck auf die Ampelkoalition steigt von allen Seiten: Russlands Krieg gegen die Ukraine und seine weitreichenden Folgen zwingen das Bündnis, schnell Antworten auf Fragen zu finden, die es im Laufe der Legislaturperiode angehen wollte. Dazu gehört etwa das Ziel, unabhängig von Energie aus Gas und Kohle zu werden – beides bezieht Deutschland in großem Maße aus Russland.

Die drei Regierungsparteien müssen sich aber auch Problemen stellen, zu denen sich wegen unterschiedlicher Positionen im Koalitionsvertrag nur wenig findet: Jüngstes Beispiel ist die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Bisher war von einem rund 17 Milliarden Euro großen Loch für das kommende Jahr ausgegangen worden. Auch an den Krankenkassen ist die Pandemie nicht spurlos vorübergegangen, das Coronavirus hat ihr Defizit erhöht. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte deswegen die Bürgerinnen und Bürger unlängst auf steigende Beiträge vorbereitet. Nun sind aber der Krieg in der Ukraine und die infolge des Konflikts stark gestiegene Inflation hinzugekommen, wodurch sich das Finanzproblem der gesetzlichen Kassen noch einmal massiv verschärft.

Milliardenloch: Warnung vor höheren Beiträgen zur Krankenkasse

Das Minus könnte nach Berechnungen des Instituts für Gesundheitsökonomik im kommenden Jahr sogar bis zu 25 Milliarden Euro betragen. Die Branche warnt bereits vor einem „Beitrags-Tsunami“ und fordert von Lauterbach eine schnelle Aussage dazu, wie er die Krise der Kassen in den Griff bekommen will. Der Sozialdemokrat hatte bereits Vorschläge dazu versprochen, wie er die Löcher in den Budgets der Versicherungen stopfen will. Die lassen aber auf sich warten. Durch die jüngsten Entwicklungen hat der Druck auf den Gesundheitsminister noch einmal zugenommen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. © Getty Images | Sean Gallup

Dabei steht Lauterbach zwei Herausforderungen gegenüber: Erstens sind die Ampel-Parteien in ihrer Koalitionsvereinbarung zum Thema Krankenkassenfinanzierung sehr vage geblieben. SPD und Grüne hatten die Einführung einer Bürgerversicherung gefordert, wogegen sich die FDP erfolgreich sperrte. Am Ende blieb lediglich das Bekenntnis zu einer „stabilen und verlässlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“. Je nachdem, wie weitgehend Lauterbachs Ideen zur Konsolidierung der Kassen sein werden, ist Koalitionskrach programmiert.

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Das zweite Problem: Die Koalition steht selbst vor einem Verteilungskampf ums Geld. Gerade erst hat sie als Reaktion auf die massiven Preissteigerungen zwei Entlastungspakete für die Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gebracht. Weitere Unterstützungsleistungen zumindest für bestimmte Bevölkerungsgruppen schließen Regierungsvertreter längst nicht mehr aus, obwohl die Mittel der ersten beiden Pakete noch gar nicht vollständig ausgezahlt worden sind.

Die Ampel-Koalition steht vor einem Streit um die Schuldenbremse

Angesichts der steigenden Ausgaben infolge des Krieges muss sich die Koalition der Frage stellen, welche Summen der Bund zur Stabilisierung der Kassenfinanzen aufbringen kann und will. Hinter dieser Ecke wartet ein grundlegender Konflikt, der die Koalition vor eine ernste Belastungsprobe stellt: Bleibt das Bündnis seiner ursprünglichen Vereinbarung treu, im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder einzuhalten?

Die FDP besteht darauf, SPD und Grüne wollen andere Wege gehen. Was uns der Krieg kosten wird, ist noch nicht abzusehen. Ob Krankenkasse oder Preissteigerungen: Die Koalition sollte sich alle Möglichkeiten offenlassen, breite Teile der Bevölkerung auch im kommenden Jahr zu unterstützen.