Berlin. Das 9-Euro-Ticket soll Reisen für alle ermöglichen. Für Familien mit Kindern, die Hartz IV bekommen, könnte das zu Problemen führen.

  • Das 9-Euro-Ticket sorgt dafür, dass die Menschen in Deutschland den Nahverkehr im Sommer günstig nutzen können
  • Was zunächst nach einer guten Nachricht klingt, sorgt bei vielen Hartz-IV-Empfängern für Probleme
  • Denn von ihnen wird nun teilweise Geld zurückgefordert

Das 9-Euro-Ticket ist seit dem 1. Juni auf den meisten Regionalverbindungen in Deutschland gültig. Von Sylt bis München, von Berlin nach Köln – in ganz Deutschland gibt es viele interessante Strecken zu erleben. Mit dem günstigen Fahrschein will die Ampel-Regierung einen Anreiz schaffen, das Auto stehen zu lassen und Geld zu sparen.

Für Menschen, die Hartz IV oder Sozialhilfe beziehen, könnte das 9-Euro-Ticket allerdings zu Problemen bei den Schülerfahrkarten führen. Denn die haben viele Betroffene im Abonnement gekauft. Mit sogenannten Bewilligungsbescheiden werden die Kosten für die Fahrkarten übernommen – teilweise gingen die zuständigen Behörden dafür schon in Vorleistung.

Doch so lange das 9-Euro-Ticket gilt, verringern sich jetzt auch die Abo-Preise. Entweder buchen die jeweils zuständigen Verkehrsunternehmen nur 9 Euro vom Konto ab oder sie berechnen zunächst den "normalen" Betrag. Die Differenz zum 9-Euro-Ticket würde dann erst später an die Kundinnen und Kunden zurückgezahlt. Familien in Hartz IV oder Sozialhilfe müssen sich deshalb die Frage stellen, wie es mit bestimmten Leistungen vom Jobcenter jetzt weitergeht.

Hartz IV: Muss die Differenz zum 9-Euro-Ticket zurückgezahlt werden?

Gegebenenfalls wurden Schülerinnen und Schülern schon Leistungen für Schülertickets in "normaler" Höhe vom Amt bewilligt, teilweise auch ausgezahlt. Manche Bundesländer könnten jetzt die entsprechende Differenz zum 9-Euro-Ticket von den Familien zurückfordern.

Der Blog "gegen-hartz.de" erklärt, damit solle eine "ungerechtfertigte Bereicherung" des Kindes vermieden werden. Deshalb könnten die Bewilligungsbescheide gemäß § 29 Abs. 5 SGB II bzw. § 34 a Absatz 6 Satz 2 SGB XII widerrufen werden.

9-Euro-Ticket in Baden-Württemberg: Bescheide werden teils widerrufen

Eines der Länder, in denen die Bewilligungsbescheide für Hartz IV- und Sozialhilfeempfangende widerrufen werden, ist Baden-Württemberg. "Die Jobcenter werden [...] entweder bereits für die Zeit ab Juni die Leistungsgewährung nach dem SGB II entsprechend anpassen oder im Nachgang die bisherige Leistungsbewilligung teilweise widerrufen", teilte das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg dieser Redaktion auf Anfrage mit.

Auch in Thüringen werden die Leistungen nach den oben genannten Paragrafen angepasst. Ein Sprecher des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie erklärte dieser Redaktion, dass "Bescheide, mit denen Schülern bereits Leistungen für die Schülerfahrkarten in der üblichen Höhe bewilligt wurden, entsprechend dem Grundsatz der Subsidiarität von Sozialleistungen" widerrufen werden können. Allerdings verweist das Ministerium auch darauf, dass Landkreise und Städte letztlich über die Durchsetzung entscheiden müssen.

Bayern und Niedersachen: Anpassungen für Hartz-IV-Familien geplant

Der Freistaat Bayern wird einem Sprecher des Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales zufolge in Einzelfällen ebenfalls bereits gezahlte Geldleistungen aus dem Bund- und Teilhabepaket teilweise zurückfordern, "da die spezifischen Leistungsvoraussetzungen zur Erbringung der Bildungs- und Teilhabeleistungen nachträglich entfallen sind". Der Sprecher erklärte auf Anfrage dieser Redaktion, dass durch diese Maßnahme "eine Überkompensation und dadurch bedingte ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber Nichtleistungsbezieher/innen vermieden" werde.

In Niedersachsen müssen sich Leistungsempfangende laut Sozialministerium ebenfalls auf Leistungsanpassungen einstellen, "sofern das 9-Euro-Ticket die günstigste Alternative der notwendigen Schulbeförderung darstellt". Eine pauschale Aussage dazu, ob Bewilligungsbescheide widerrufen werden oder Geld von den Leistungsberechtigten zurückgefordert wird, "hänge von der jeweiligen Verwaltungspraxis bei der Bewilligung vor Ort ab". Im Klartext: Die Jobcenter oder Sozialämter in Niedersachsen entscheiden von Fall zu Fall, ob bereits erhaltene Leistungen zurückgezahlt werden müssen.

Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt: Keine Rückforderung von Hartz-IV-Zahlungen

Etwas anders sieht die Lage dagegen im hohen Norden aus. Zwar werde es Änderungsbescheide geben, erklärte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums von Schleswig-Holstein dieser Redaktion, allerdings werde das Land für bereits bewilligte Gelder im Juni auf eine Rückforderung verzichten. Der Sprecher verwies auf § 40 Abs. 6 Satz 3 SGB II, wonach eine Rückforderung von Zahlungen aus dem Bildungs- und Teilhabepacket generell nicht erfolge, wenn die Aufhebung "allein wegen der Bildungs- und Teilhabeleistungen erfolgen würde."

Ähnlich wird Sachsen-Anhalt eventuelle Leistungsanpassungen handhaben. Da Schulbeförderungen nach § 28 Abs. 4 SGB II zum Bildungs- und Teilhabepacket gehören, werde im Falle des 9-Euro-Tickets keine Aufhebung der Leistungsbescheide in Sachsen-Anhalt erfolgen. Auch Sachsen-Anhalts Nachbarland Brandenburg wird mit Verweis auf diesen Paragrafen keine Leistungsbescheide aufheben, wie das Brandenburger Wirtschaftsministerium auf Anfrage mitteilte.

Hessen: Teils mehr Geld durch Erstattungen

Für Menschen in Hessen könnte es sogar mehr Geld im Juni geben. Wenn sie eine Geldleistung bekommen und ihr Nahverkehrsticket selbst gekauft haben, erstatten die Verkehrsunternehmen ihnen den Differenzbetrag zum 9-Euro-Ticket zurück. Das hessische Sozialministerium erklärt dieser Redaktion auf Anfrage, der Differenzbetrag verbleibe "in der Regel bei den Leistungsberechtigten".

Allerdings könnte bei Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern in Einzelfällen Leistungsanpassungen vorgenommen werden. Diese würden durch die zuständigen Sozialämter geprüft und entschieden.

Hamburg: Für Hartz-IV-Beziehende ändert sich nichts mit dem 9-Euro-Ticket

Nichts ändert sich dagegen für Leistungsempfangende in Hamburg, da hier anfallende Kosten für die Schülerbeförderung direkt von der Behörde für Schule und Berufsbildung übernommen werden.

Außerdem fügte die Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration auf Anfrage hinzu: "Für Personen, die (wegen eines Sozialleistungsbezugs) einen Anspruch auf den Sozialrabatt haben und darüber üblicherweise ein vergünstigtes Abo nutzen, übernimmt die Stadt Hamburg zudem die jeweils verbleibenden 9 Euro für die kommenden drei Monate, sodass bei uneingeschränktem Leistungsbezug keine Kosten für die ÖPNV-Nutzung anfallen".

9-Euro-Ticket: Flickenteppich bei Sozialleistungen erwartet

Und dann ist da noch Rheinland-Pfalz. Ein Sprecher des dortigen Ministeriums für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung teilte dieser Redaktion auf Anfrage mit, aktuell sei nicht bekannt, wie das Land mit eventuellen Rückforderungen für Leistungsberechtigte umgehe.

Ein bundesweiter Flickenteppich aus unterschiedlichen Regelungen zeichnet sich demnach ab. Zu den unterschiedlichen Handhabungen in den Bundesländern kommt noch hinzu, dass die Durchsetzung dieser Regeln in den Händen der Jobcenter und Sozialämter liegt, also von Kommune zu Kommune unterschiedlich umgesetzt werden kann. Wie die einzelnen Stellen dann handeln, bleibt abzuwarten.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de