Berlin . Russland will wohl ukrainische Kämpfer in Schauprozessen anklagen. Die Tribunale sind in der Ostukraine geplant. Das steckt dahinter.

Könnte es bald Schauprozesse gegen ukrainische Kämpfer durch Russland geben? Darauf deutet aktuell die Berichterstattung mehrerer russischer Tageszeitungen hin. Seit Beginn der sogenannten „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine ist die „Entnazifizierung“ des Land erklärtes Propaganda-Ziel Russlands.

Während in Kiew der erste russische Kriegsverbrecher bereits verurteilt wurde, plant Moskau wohl ein neues Manöver, um daheim den Schein aufrecht zu halten, dass man in der Ukraine hehre Ziele verfolge: In Anlehnung an die Kriegsverbrecherprozesse gegen Nationalsozialisten nach dem zweiten Weltkrieg, deuten russische Gebietsverantwortliche in der Ukraine nun immer unverhohlener an, dass sie „Nürnberger Prozesse 2.0“ durchführen wollen.

Russische Anführer planen wohl Schauprozesse in der Ostukraine

Diese öffentlichen Gerichtsverfahren sollten als „Lehre für alle dienen, die die Lektionen von Nürnberg vergessen haben“, so zitiert der „Guardian“ den russischen Vorsteher der illegal annektierten Halbinsel Krim. Auch der Anführer des illegal besetzten Separatistengebiets Donezk, Denis Pushilin, erklärte: „Wir planen, ein internationales Tribunal auf dem Territorium der Republik zu organisieren“. Er führte als Vorbild wiederum den sowjetischen Schauprozess von Charkiw aus dem Jahr 1943 an.

Stattfinden sollen die Prozesse demnach in den von Russland besetzten Gebieten im Osten der Ukraine. Das dürfte – guckt man sich die historischen Exempel an – einen klaren Grund haben: In Russland gibt es keine Todesstrafe. Sie gilt aber in den prorussischen Separatistengebieten und soll nach und nach in den neu dazugekommenen Regionen durchgesetzt werden.

podcast-image

Russland plant in Ukraine: Todesstrafe für Angeklagte?

Laut den Berichten in russischen Medien ist man auch deshalb vorerst nicht bereit, die Kämpfer aus dem Mariupoler Stahlwerk mit einem Gefangenenaustausch freizugeben. Viele von ihnen gehören dem Asow-Regiment an, das in russischen Medien als Nazi-Einheit bezeichnet wird.

Öffentliche Schauprozesse insbesondere gegen diese Kriegsgefangenen würden Putins Propaganda von einer „Entnazifizierung“ der Ukraine untermauern – und sich gut für triumphierende Schlagzeilen daheim anbieten. Dem stimmt auch die renommierte Geschichtswissenschaftlerin Francine Hirsch von der Universität Wisconsin-Madison zu.

Sie erklärte gegenüber dem „Guardian“: „Es wäre ein politischer Prozess, dessen Ziel es ist, eine bestimmte Erzählung über den Krieg zu präsentieren, die Putins Argument zur Entnazifizierung stützt.“ Russland mache so die fiktionale Erzählung der rechtmäßigen Militärinvasion zur Realität – zumindest für eine bestimmte Öffentlichkeit im eigenen Land, so Hirsch.

Busse mit ukrainischen Soldaten, die aus dem belagerten Stahlwerk Azovstal in Mariupol evakuiert wurden, fahren in Begleitung russischer Militärfahrzeuge zu einem Gefängnis in der
Busse mit ukrainischen Soldaten, die aus dem belagerten Stahlwerk Azovstal in Mariupol evakuiert wurden, fahren in Begleitung russischer Militärfahrzeuge zu einem Gefängnis in der "Volksrepublik" Donezk. © dpa

Schauprozesse gegen ukrainische Kämpfer: das steckt wirklich dahinter

Das Ganze fungiert laut Beobachtern vor allem als Ablenkungsmanöver: Denn nicht nur die Ukraine beginnt derzeit damit, die Täter hinter den russischen Kriegsverbrechen – beispielsweise in Butscha oder Irpin – zu verfolgen. Mittlerweile hat auch der Internationale Gerichtshof offizielle Ermittlungen eingeleitet. Er entsendete 42 Ermittler, um mögliche Kriegsverbrechen in der Ukraine untersuchen. Chefankläger Karim Khan erklärte zuletzt, es handle sich dabei um die größte Ermittlergruppe, seit das Gericht im Jahr 2002 seine Arbeit aufgenommen hatte.

Doch schon bevor Russland Schauprozesse in der Ukraine durchführt, könnten für die Mitglieder des Asow-Regiments neue Fakten geschaffen werden: In Moskau berät das Oberste Gericht Russlands über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, das ukrainische Regiment „Asow“ zu einer terroristischen Vereinigung zu erklären.

Die Einheit hat Verbindungen zur rechtsradikalen Szene in der Ukraine, der russischen Propaganda dient sie als Beispiel für den Einfluss von Neonazis im Nachbarland. Darüber hinaus stufen internationale Experten die Behauptung, die gesamten ukrainischen Streitkräfte seien von „Neonazis“ unterwandert, als unhaltbar ein. (bml)

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.