Wegen steigender Preise wird es für immer mehr Menschen am Ende des Monats knapp. Die Regierung muss helfen – nicht nur aus Solidarität.

Das Supermarktregal war einmal ein Ort ohne echtes Schockpotenzial. Angenehm langweilig fast, dieselben Produkte am selben Platz, vielleicht hier und da mal eine Änderung im Sortiment. Doch seit Beginn des Ukraine-Krieges ist der Einkauf für viele Menschen zur echten Nervenprobe geworden, mit ungewissem Ausgang: Wie viel teurer werden Tomaten, Mehl, Butter dieses Mal sein? Wird das Geld reichen am Kassenband?

Der Krieg und seine zahlreichen, verästelten Folgen haben das Leben an vielen Stellen in Deutschland teurer gemacht. Heizen, Sprit, Lebensmittel, alles kostet mehr als noch vor ein paar Monaten oder gar einem Jahr. Für manche ist das vor allem ärgerlich, frustrierend oder vielleicht auch traurig. Weil die Besuche beim Lieblingsitaliener seltener werden, der lang ersehnte Urlaub sparsamer ausfallen muss als geplant oder das neue Fahrrad doch noch warten muss.

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© Reto Klar | Reto Klar

Mehr als 13 Millionen Menschen: Armut in Deutschland ist nicht selten

Für andere aber sind die Preise nicht nur unbequem, sondern existenzbedrohlich. Unter Studierenden, unter Rentnerinnen und Rentnern, unter Menschen, die arbeiten: Armut in Deutschland ist gut versteckt, aber sie existiert, und sie ist nicht selten. Mehr als 13 Millionen Menschen in Deutschland gelten als arm, mehr als jedes fünfte Kind wächst in Armut auf. Viele weitere leben knapp über der Armutsgrenze. Fast 20 Prozent der Vollzeitbeschäftigten in diesem Land fallen in die Gruppe der Geringverdiener, das heißt, sie haben im Monat weniger als 2300 Euro brutto zu Verfügung. Lesen Sie auch: So stark belastet die Inflation Rentner und Geringverdiener

Für viele von ihnen bedeuten die steigenden Preise nicht weniger Besuche beim Lieblingsitaliener, sondern im schlimmsten Fall: Hunger. Die Tafeln schlagen Alarm, mit der bisherigen Kundschaft, geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern und Menschen, deren Geld inzwischen nicht mehr reicht für den Supermarkt ist die Nachfrage längst höher als das Angebot.

Dabei sollte es in einem reichen Land nicht Aufgabe von Ehrenamtlichen sein, dafür zu sorgen, dass es am Ende des Monats wenigstens für Essen für alle reicht. In den ersten beiden Entlastungspaketen hatte die Ampelkoalition zurecht auf die Breite der Gesellschaft geblickt und versucht, die Situation für alle ein bisschen leichter zu machen. Doch ein drittes Mal wird das nicht gehen. Alle weiteren Hilfen müssen passgenau denen zu Gute kommen, die sie am dringendsten brauchen. Auch interessant: In diesen Bundesländern sind Benzin und Diesel am teuersten

In der Falle: Aus Armut wieder herauszukommen, ist schwer

Denn Armut ist eine Falle. Sie belastet die Gesundheit, psychisch und körperlich. Sie isoliert die Menschen, die sie betrifft, häufig sozial und macht es schwieriger, Hilfe zu bekommen. Und sie setzt sich fort über Generationen: Bildungsstand und Einkommen der Eltern haben in Deutschland noch immer entscheidenden Einfluss auf die Chancen der Kinder, unabhängig von deren Talenten. Die Bundesregierung selbst bestätigt, dass der Aufstieg in den vergangenen Jahrzehnten schwieriger geworden ist.

Nicht nur aus Solidarität, auch aus Eigeninteresse muss der Staat deshalb jetzt jenen unter die Arme greifen, die schon vor dem Krieg arm waren, und jenen, die kurz davorstehen, es zu werden. Auch interessant :Lebensmittel: Was besonders teuer ist und wann Sie sparen

Die Lösung für die akute Preiskrise sind deshalb nicht pauschale Erleichterungen für alle, wie etwa eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Stattdessen braucht es pragmatische Hilfe in Form von Direktzahlungen, die bei den Betroffenen ankommen, und höheren Regelsätzen für die Grundsicherung.

Der Staat als Repräsentant der Gemeinschaft kann und soll nicht alles abfedern, was dieser Krieg mit sich bringt. Aber er muss das schlimmste verhindern.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.