Berlin/Düsseldorf. Die Grünen stellen sich auf ihrem Parteitag hinter die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Für Kritik sorgt ein anderer Punkt.

Omid Nouripour weiß, wovon er spricht, wenn er von Krieg redet. „Ich weiß noch ziemlich genau, wie es sich angefühlt hat, als Kind im Keller zu sitzen und nicht zu wissen, wann und wo die nächste Bombe einschlägt“, sagt der Co-Parteichef der Grünen. Nouripour, der in Teheran geboren wurde, hat als Kind den Krieg zwischen dem Iran und dem Irak erlebt. Eine Erfahrung, die ihn für sein Leben gezeichnet habe, wie er sagt. „Und es ist unerträglich zu sehen, dass gerade Millionen Menschen in der Ukraine diese erleiden müssen.“

Die Rede, in der er von seinen Erinnerungen erzählt, hielt Nouripour in Düsseldorf, auf einem kleinen Parteitag am Samstag. Es war der erste Länderrat der Partei seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Und zum zweiten Mal in ihrer Geschichte standen die Grünen vor der Frage, was es heißt, Friedenspartei sein zu wollen, wenn man in Kriegszeiten regiert.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Seit Beginn des Krieges hat die Partei, die ihre Wurzeln auch in der Friedens- und Abrüstungsbewegung hat, in kürzester Zeit Glaubenssätze überprüft und vielfach über den Haufen geworfen. Jüngstes Beispiel: In der Debatte, ob Deutschland Panzer und andere schwere Waffen an die Ukraine liefern soll, waren es nicht die Grünen gewesen, die lange zögerten, sondern die SPD.

Claudia Roth spricht von „Situationen der Zerrissenheit“

Auch Nouripour warb als Parteichef am Samstag für diesen Kurs. In einem Antrag befürwortete der Parteivorstand die Lieferung „schwerer Waffen und komplexer Systeme“, etwa im Rahmen des Ringtausches mit Partnerländern. Zudem solle stetig geprüft werden, ob weitere Waffen abgegeben werden können. „Es geht darum, die Folgen des Krieges einzudämmen und unseren Teil dazu beizutragen, diesen zu beenden“, hieß es im Antragstext, dem die Delegierten mit großer Mehrheit zustimmten.

Mehr als 20 Jahre nach ihrer ersten Regierungsbeteiligung, als der Streit über den Nato-Einsatz im Kosovo die Partei fast zerrissen hatte, zeigen sich die Grünen demonstrativ einig in Fragen von Krieg und Frieden. Schon in den vergangenen Wochen war kaum Kritik von der Basis zu hören gewesen an den Entscheidungen der Ampel-Koalition. Hart angegangen hatte die Regierung und Bundeskanzler Olaf Scholz als einziger Toni Hofreiter, grüner Vorsitzender des Europa-Ausschusses – weil er der Meinung war, dass Kanzleramt sei zu zögerlich bei der Frage der Waffenlieferungen.

Auch auf dem Länderrat stellten sich viele Delegierte in Redebeiträgen hinter den Beschluss, Waffen zu liefern. Keiner der Rednerinnen und Redner argumentierte dagegen. Doch bei aller Geschlossenheit: Den Eindruck, dass ihnen die Entscheidung, Waffen zu liefern, allzu leicht fällt, wollten Spitzengrüne an diesem Tag unbedingt vermeiden.

Es sei der Job der Grünen, die historische gewachsene Kultur der militärischen Zurückhaltung nicht aufzugeben, betonte Nouripour in seiner Rede. „Deshalb dürfen wir auch nicht bei Überbietungswettbewerben mitmachen um die Frage, was jetzt nun als nächstes geliefert werden soll“. Die Grünen würden „immer Friedenspartei bleiben“. Doch man schaue als Regierungspartei der Realität ins Gesicht.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth sprach von „Situationen der Zerrissenheit“. Und auch Außenministerin Annalena Baerbock, die eine Videobotschaft für das Treffen aufgenommen hatte, stellte heraus, dass sie und andere grüne Mitglieder der Regierung sich die Entscheidungen der letzten Wochen nicht leicht gemacht hätten.

Die Partei sage deutlich, dass man es richtig finde, schwere Waffen zur Selbstverteidigung der Ukraine zu liefern, sagte Baerbock. „Dabei handeln wir und hadern zugleich. Und wir hadern, ob wir ausreichend handeln.“ Denn auch mit den Lieferungen wisse man nicht, wann der Krieg zu Ende sein wird. Gleichzeitig sei es wichtig, einen „kühlen Kopf zu bewahren“, und zu verhindern, dass der Krieg sich auf ganz Europa ausdehne.

Grüne Jugend scheitert mit Antrag zum Sondervermögen

LandUkraine
KontinentEuropa
HauptstadtKiew
Fläche603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim)
Einwohnerca. 41 Millionen
StaatsoberhauptPräsident Wolodymyr Selenskyj
RegierungschefMinisterpräsident Denys Schmyhal
Unabhängigkeit24. August 1991 (von der Sowjetunion)
SpracheUkrainisch
WährungHrywnja

Doch während die Grünen geschlossen sind in der Frage von Waffenlieferungen, gab es Kritik am Kurs der Ampel-Regierung in der Sicherheitspolitik. Der Parteivorstand stellte sich in seinem Beschlussentwurf ausdrücklich hinter das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, mit dem Regierung vor allem die Bundeswehr besser ausstatten will. Dazu gehöre unter anderem auch eine Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit, Cybersicherheit und eine „bedarfsgerechte Ermittlung notwendiger Militärausgaben“, wie es im Antrag hieß.

Vor allem der letzte Punkt müsse geklärt werden, bevor das Sondervermögen kommt, findet die Grüne Jugend: Nötig sei eine Reform des Beschaffungswesens, bevor weiteres Geld fließen könne, forderte die Jugendorganisation in einem Änderungsantrag. „Das Motto ‚Viel hilft viel‘ hilft uns bei der Bundeswehr aktuell nicht weiter“, sagte GJ-Sprecher Timon Dzienus. Eine Mehrheit fand der Vorschlag der Grünen Jugend aber nicht.

Ob das Sondervermögen kommt, ist bislang offen. Unionsfraktionschef Friedrich Merz, dessen Unterstützung die Ampel-Koalition für die geplante Grundgesetzänderung braucht, hat seine Zustimmung unter anderem davon abhängig gemacht, dass auch das Zwei-Prozent-Prozent-Ziel der Nato in der Verfassung verankert wird. Das allerdings lehnen die Grünen ab. Auch das beschloss der Parteitag am Samstag.