Berlin. Russland startet eine Großoffensive gegen die Ostukraine. Dass Putin nicht locker lassen wird, war schon lange klar, meint unser Autor.

Russland hat die gefürchtete Offensive in der Ostukraine begonnen. Nach der Moskauer Propaganda-Maschinerie handelt es sich um eine Begrenzung der Schlacht auf den Donbass.

Auf den ersten Blick haben sich die Pläne von Präsident Wladimir Putin geändert – aber nur auf den ersten Blick. Nach Beginn der Invasion am 24. Februar sprach Putin noch vom Ziel der „Entnazifizierung“ der ukrainischen Führung – sprich: vom Regimewechsel in Kiew. Doch der russische Vormarsch auf die ukrainische Hauptstadt geriet ins Stocken.

Um den gescheiterten Blitzkrieg-Sieg nicht zur Blamage werden zu lassen, fasste der Kremlchef seine Strategie enger. Seit Ende März lautet die neue Vorgabe: „Befreiung“ des Donbass.

Ukraine-Krieg: Putin will Anfang Mai zwei Teil-Siege vorweisen

Da Putin den großen, schnellen militärischen Triumph nicht haben konnte, braucht er aus propagandistischen Gründen zumindest Teilerfolge. Am 9. Mai, dem Jahrestag des russischen Sieges über die Nazi-Truppen, will der Kremlchef zwei Trophäen vorweisen.

Die erste ist die Rückeroberung des Donbass, in der Sowjetunion ein Zentrum der Schwerindustrie. Die Gebiete Donezk und Luhansk, in denen die prorussischen Rebellen bereits vor dem Einmarsch „Volksrepubliken“ errichtet hatten, sollen vollständig unter Moskauer Kontrolle kommen. Darüber hinaus strebt Putin eine Landbrücke zwischen der Krim und Russland an.

Putins Antrieb: Russland will sich die Ukraine einverleiben

Doch sollte man sich von den Moskauer Verlautbarungen nicht täuschen lassen: Es handelt sich um eine taktische Fokussierung. Bereits drei Tage vor dem Angriff auf die Ukraine hatte Putin seine wahren Absichten in einer gespenstischen Fernsehansprache enthüllt: „Die moderne Ukraine wurde komplett von Russland geschaffen. Sie ist nie eine wahre Nation gewesen.“

Das deckt sich mit den weitschweifigen Ausführungen eines Essays, den er bereits im Juli 2021 vorgelegt hatte. Eine der zentralen Botschaften: Die drei ostslawischen Bevölkerungsgruppen – Russen, Ukrainer, aber auch Belarussen – seien „ein Volk“.

Ukraine: Offensive im Osten – doch Putin hat Größeres vor

Auch wenn Russlands Offensive derzeit vor allem auf den Donbass gerichtet ist, hat Putin sein großes Ziel nicht aus den Augen verloren. Wenn er kann, wird er das Land kaputt bomben, bis nichts mehr übrig ist. Es wird dann viele Mariupols geben. Auf den Trümmern der alten Ukraine soll dann eine neue politische Führung installiert werden, die nach Moskauer Direktiven arbeitet.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Auch das ist leider nicht das Ende von Putins imperialem Plan. Man muss den russischen Präsidenten beim Wort nehmen. In der TV-Ansprache am 21. Februar ließ er sich mit Blick auf die ehemaligen Sowjetrepubliken wie die Ukraine, aber auch die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen entlocken: „Wir haben diesen Republiken das Recht gegeben, die Union ohne Bedingungen zu verlassen. Das ist einfach Wahnsinn.“

Putin sieht die Nato als Feind – und wird weiter provozieren

Auch hier ist zu befürchten, dass Putin vor Provokationen nicht zurückschreckt. Er mag zunächst nur austesten, wie weit er gehen kann. Zum Beispiel durch einen kleinen Raketenangriff auf einen Waffenkonvoi auf Nato-Gebiet, der Richtung Ukraine unterwegs ist. Im Baltikum ist die Sorge ebenso hoch wie in Polen, dass Putin keine Grenzen kennt und attackiert.

In zwei Mitte Dezember an den Westen adressierten Papieren hat der Präsident klipp und klar formuliert, was ihm vorschwebt: Nato-Truppen und -militärische Infrastruktur raus aus Mittel- und Osteuropa, amerikanische Atomwaffen raus aus Europa. Für die westliche Allianz kann dies nur heißen: Sie muss gegenüber Putin wachsam, geschlossen und hart bleiben. Eine lückenlose Abschreckung gehört ebenso dazu wie die – auf Sicht unverzichtbare – Sicherheitsgarantie der USA.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.