Berlin. Der Ukraine-Krieg dauert an. Ernährungsminister Cem Özdemir sagt, warum er die Lebensmittelversorgung in Deutschland für sicher hält.

  • Der Ukraine-Krieg sorgt auch in Deutschland für Engpässe und steigende Preise
  • Ernährungsminister Cem Özdemir hält die Lebensmittelversorgung in Deutschland allerdings für sicher
  • Özdemir erklärt im Interview, was die Krise auch für den Tierschutz bedeutet

Der Ukraine-Krieg wirkt sich nicht nur auf die Energiepreise aus, auch Lebensmittel werden in Deutschland teurer – und manche Produkte fehlen ganz im Supermarktregal. Ernährungsminister Cem Özdemir sagt im Interview mit unserer Redaktion auch, was die Krise für den Tierschutz bedeutet.

Herr Özdemir, wie teuer werden Brot, Obst und Fleisch in diesem Jahr?

Cem Özdemir: Das hängt davon ab, wie lange der Krieg geht. Putin benutzt die Verknappung von Getreide als Waffe. Er will, dass bei uns die Preise steigen und anderswo, in den ärmsten Ländern der Welt, der Hunger zunimmt. Mit dieser perfiden Strategie nimmt er weltweit Menschen als Geiseln.

Planen Sie – wie bei den steigenden Energiepreisen – Entlastungen für die Bürger? Wird es Lebensmittelgutscheine geben?

Özdemir: Die Koalition hat gerade das zweite große Entlastungspaket vorgelegt. Je nachdem, wie sich der Krieg entwickelt, werden wir weitere Maßnahmen ergreifen. Aber ich sage ganz ehrlich: Wir können den Krieg und seine Folgen nicht ungeschehen machen. Lesen Sie auch: Gas-Engpässe: Mit diesen Tipps können Sie im Alltag sparen

Bedeutet?

Özdemir: Wir leben in einer Zeit von Blut, Schweiß und Tränen - in Europa. Die Ukrainerinnen und Ukrainer verteidigen nicht nur ihr Land, sondern kämpfen auch für Freiheit und Demokratie. Dafür zahlen sie einen sehr hohen Preis. Angesichts dessen sollten wir nicht so viel über unsere eigene Befindlichkeit diskutieren. In der Ukraine werden jeden Tag Menschen ermordet, es verdursten Kinder. Deswegen ist für mich der Dreiklang klar: Wir helfen der Ukraine. Wir müssen helfen, dass der Hunger in der Welt nicht wächst. Und wir kümmern uns um das eigene Land, indem wir die Bürgerinnen und Bürger mit unserem Maßnahmenpaket entlasten. Wir sorgen dafür, so schnell wie möglich unabhängig zu werden von fossilen Energien – so wie es Robert Habeck gerade in nie dagewesener Geschwindigkeit macht. Die Solidarität dieses Landes reicht weiter als bis zur nächsten Tankstelle.

Ukraine: Der furchtbare Krieg gegen die Kinder

Irpin bei Kiew: Die Wohnungen sind zerstört, jetzt helfen Soldaten bei der Rettung der Allerkleinsten.
Irpin bei Kiew: Die Wohnungen sind zerstört, jetzt helfen Soldaten bei der Rettung der Allerkleinsten. © IMAGO/MYKHAYLOX PALINCHAK/IMAGO/ZUMA WIRE
Sie rennen um ihr Leben: Ein ukrainischer Polizist hilft einem kleinen Mädchen in Irpin, vor der Artillerie zur fliehen.
Sie rennen um ihr Leben: Ein ukrainischer Polizist hilft einem kleinen Mädchen in Irpin, vor der Artillerie zur fliehen. © Emilio Morenatti/AP/dpa
Selbstverteidigung: In Lwiw lernt ein Junge in einem Kurs den Umgang mit dem Sturmgewehr AK-47.
Selbstverteidigung: In Lwiw lernt ein Junge in einem Kurs den Umgang mit dem Sturmgewehr AK-47. © Daniel LEAL / AFP
Die Flucht ist geglückt – und dann fließen bei dem Flüchtlingsmädchen im rumänischen Siret, kurz hinter der ukrainischen Grenze, die Tränen.
Die Flucht ist geglückt – und dann fließen bei dem Flüchtlingsmädchen im rumänischen Siret, kurz hinter der ukrainischen Grenze, die Tränen. © Armend NIMANI / AFP
Wie geht es weiter? Ein Junge wartet nach tagelanger Flucht über Polen am Hauptbahnhof in Berlin.
Wie geht es weiter? Ein Junge wartet nach tagelanger Flucht über Polen am Hauptbahnhof in Berlin. © Maja Hitij/Getty Images
In einem Flüchtlingslager in Przemysl an der polnischen Grenze kümmert sich ein Mädchen um sein Geschwisterchen. Trost brauchen beide.
In einem Flüchtlingslager in Przemysl an der polnischen Grenze kümmert sich ein Mädchen um sein Geschwisterchen. Trost brauchen beide. © Louisa GOULIAMAKI / AFP
In einem Kinderkrankenhaus in Kiew müssen sich die kleinen Patienten im Keller vor den Bomben schützen.
In einem Kinderkrankenhaus in Kiew müssen sich die kleinen Patienten im Keller vor den Bomben schützen. © Aris Messinis / AFP
Nach den Strapazen der Flucht werden Kinder an der ukrainisch-polnischen Grenze versorgt.
Nach den Strapazen der Flucht werden Kinder an der ukrainisch-polnischen Grenze versorgt. © Daniel LEAL / AFP
Sie kann fliehen, er muss bleiben. Ein Vater verabschiedet sich in Lwiw von seiner Tochter.
Sie kann fliehen, er muss bleiben. Ein Vater verabschiedet sich in Lwiw von seiner Tochter. © Dan Kitwood/Getty Images
Waisenkinder aus Huljaipole, einer Stadt in der Zentralukraine, nach ihrer Ankunft in Lwiw im Westen des Landes. Sie wurden aus ihrem Heim evakuiert.
Waisenkinder aus Huljaipole, einer Stadt in der Zentralukraine, nach ihrer Ankunft in Lwiw im Westen des Landes. Sie wurden aus ihrem Heim evakuiert. © EPA-EFE
Ein an Krebs erkranktes Kind in einem onkologischen Krankenhaus in Kiew hält ein Schild mit der Aufschrift
Ein an Krebs erkranktes Kind in einem onkologischen Krankenhaus in Kiew hält ein Schild mit der Aufschrift "Krieg beenden" hoch. © Aris Messinis / AFP
Kinder aus Kiew verlassen nach heftigen Bombardements ihre Heimat – mit nichts außer einer Plastiktüte.
Kinder aus Kiew verlassen nach heftigen Bombardements ihre Heimat – mit nichts außer einer Plastiktüte.
Abschiedsgruß: Ein Vater verabschiedet sich von seiner Tochter, die in einem Evakuierungszug aus Odessa sitzt.
Abschiedsgruß: Ein Vater verabschiedet sich von seiner Tochter, die in einem Evakuierungszug aus Odessa sitzt. © BULENT KILIC / AFP
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Was tun Sie für die Bauern?

Özdemir: Wir alle profitieren langfristig, wenn wir unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren, deswegen unterstützen wir auch Gartenbau und Landwirtschaft dabei, effizienter zu wirtschaften und erneuerbare einzusetzen. Jetzt gilt es zudem dort zu helfen, wo es akut wird - also beim Thema Futtermittel und Tierhaltung. Ich will die ökologischen Vorrangflächen für die Futternutzung freigeben und hoffe, dass der Bundesrat das am 8. April unterstützt. Das soll auch dazu beitragen, die Preissteigerungen auszugleichen. Zudem bauen wir unsere Eiweißpflanzenstrategie weiter aus.

Können wir uns die Agrarwende – höhere Standards für Tier-, Arten- und Klimaschutz – noch leisten?

Özdemir: Es ist bezeichnend, dass daran ausgerechnet diejenigen zweifeln, die uns in den letzten Jahren in die energiepolitische Abhängigkeit von Russland geführt haben. Der Hunger in der Welt wird maßgeblich angetrieben von der dramatischen Klimakrise: von Dürre, Starkregen und Ernteausfällen, die zu weiteren Konflikten führen.

Nachhaltige Ernährungspolitik ist deshalb auch Sicherheitspolitik. Ich werde auf keinen Fall Maßnahmen ergreifen, die die Klimakrise noch beschleunigen und die Arbeitsgrundlage unserer Landwirtschaft und damit unsere Ernährung zerstören. Wir müssen die multiplen Krisen zusammen bekämpfen. Und wir müssen unsere Abhängigkeit von autoritären Regimen reduzieren. Die Kreislaufwirtschaft auch in der Landwirtschaft kann dazu einen Beitrag leisten.

Konkret?

Özdemir: Wir müssen über den Flächenverbrauch diskutieren – wertvolle Felder gehen Tag für Tag verloren, weil sie überbaut werden, während der Leerstand anderswo zunimmt. Und wir müssen darüber diskutieren, wie viel Getreide an Tiere verfüttert wird und ob wir landwirtschaftliche Fläche nicht doch eher dazu nutzen, möglichst viele Menschen zu ernähren.

Ich finde es nicht vertretbar, dass in Deutschland 60 Prozent des Getreides in Futtertrögen landen, während anderswo Menschen hungern – übrigens auch schon vor dem Krieg. Der Hunger wütet überall dort am heftigsten, wo auch die Klimakrise schon voll zuschlägt. Wir müssen jetzt aus diesem Teufelskreis ausbrechen, nicht morgen oder irgendwann.

Also weniger Tierzucht und mehr Getreideanbau?

Özdemir: Die Wissenschaft rät seit Jahren dazu, dass wir unseren Fleischkonsum deutlich reduzieren sollten. Wenn wir unseren Ernährungsstil auf den gesamten Planeten übertragen, reicht die Fläche gar nicht aus. Ein Teil der Lösung lautet: Weniger Tiere, weniger Fleischkonsum.

Als Vegetarier sagt sich das leicht.

Özdemir: Ich schreibe mit Sicherheit niemandem vor, was sie oder er zu essen hat. Aber es ist doch so: Alle Gesundheitsexperten empfehlen uns, dass wir weniger Fleisch und dafür mehr Obst, Gemüse und vor allem Hülsenfrüchte essen sollten. Das ist ein Beitrag zur eigenen Gesundheit, zum Klimaschutz – und es hilft uns, eine Antwort auf Putin zu geben, indem wir Anbauflächen für Getreide bekommen.

Was wird aus den Plänen für ein staatliches Tierwohl-Siegel?

Özdemir: Wir arbeiten an einer verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung und sind auf gutem Wege. Ich habe eine erste Milliarde als Anschubfinanzierung herausgehandelt, um den Umbau der Ställe zu unterstützen. Das reicht aber natürlich hinten und vorne nicht. Als Koalition haben wir uns auf ein solidarisches Modell geeinigt, mit dem wir artgerechte Ställe finanzieren. Die Bäuerinnen und Bauern sollen weniger Tiere halten und mehr Platz für sie haben, für diesen Schritt brauchen sie eine wirtschaftliche Perspektive.

Wann wird die Kennzeichnung eingeführt?

Özdemir: Wir wollen das Gesetz zur Haltungskennzeichnung noch im Sommer vorstellen. Die staatliche Kennzeichnung soll dann im nächsten Jahr eingeführt werden – beginnend beim Schweinefleisch. Schritt für Schritt wird es dann auf die anderen Nutztierarten ausgeweitet. Die Bauern, die Verbraucherschützer, der Handel – viele wollen diese Kennzeichnung. In der Koalition diskutieren wir noch über die konkrete Ausgestaltung. Ich kann allen nur sagen: Wer den Umbau der Tierhaltung blockiert, wird es den Leuten nachher auch erklären müssen.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Und wenn das Siegel kommt, müssen Sie den Leuten erklären, dass Fleisch wieder teurer wird.

Özdemir: Es geht darum, dass die Bauern ein faires Einkommen haben und die Tiere gut gehalten werden. Momentan bekommt der Bauer von einem Euro, den Kundinnen und Kunden für Schweinefleisch ausgeben, gerade einmal 21 Cent.

Sie sagen also auch in der Krise: Fleisch ist zu billig.

Özdemir: Das kann man so pauschal nicht sagen. Aber man muss schon sehen, von wo wir kommen. Ein System, das Fleisch zu billigsten Preisen anbietet, verlagert die Kosten auf unsere Umwelt. Auch unsere Landwirtinnen und Landwirte sind Leidtragende, denn sie bekommen keine kostendeckenden Preise für ihre Produkte. Das alles ist nicht nachhaltig und führt dazu, dass immer mehr Betriebe verschwinden.

Cem Özdemir vor einem Wandgemälde im Landwirtschaftsministerium.
Cem Özdemir vor einem Wandgemälde im Landwirtschaftsministerium. © Foto: Anikka Bauer / FUNKE Foto Services | Anikka Bauer

Was sagen Sie jenen, die Nudeln, Mehl und Speiseöl hamstern?

Özdemir: Mein Rat: Lasst das Hamstern bleiben! Dafür besteht schlicht nicht die Notwendigkeit. Hamsterkäufe führen nur dazu, dass sich die Dinge künstlich im Regal verknappen und sich Unruhe breitmacht. Am Ende müssen die Lebensmittel von den Geschäften rationiert werden. Jeder sollte das einkaufen, was er für sich auch tatsächlich braucht. Das ist auch eine Frage der Solidarität. Wenn ich mir die Depots fülle und meine Nachbarn nichts mehr bekommen, ist das kein besonders soziales Verhalten. Auch interessant: Weizenmehl ist Mangelware: Hier können Sie es noch kaufen

Geben Sie den Bürgern eine Garantie, dass die Lebensmittelversorgung sicher ist?

Özdemir: Die Lebensmittelversorgung ist in Deutschland sicher, das gilt auch für die EU. Aber wir haben bestimmte Bereiche, wo wir eine höhere Abhängigkeit von der Ukraine oder von Russland haben. Beim Sonnenblumenöl müssen wir gerade Abstriche in Kauf nehmen. Die gute Nachricht ist: Mit Rapsöl können wir das einigermaßen kompensieren.

Rapsöl wird auch für Biosprit verwendet. Ist das noch zu verantworten?

Özdemir: Der Umgang mit Biosprit gehört auf die Tagesordnung – auch wenn bei uns der Anteil der geernteten Nahrungs- und Futterpflanzen, die in den Tank wandern, deutlich geringer ist als etwa in den USA. Dort wird so viel Mais für Biosprit verwendet, dass man den Ernteausfall in der Ukraine locker ausgleichen könnte.

Was unternehmen Sie?

Özdemir: Darüber bin ich im Gespräch mit der Umweltministerin und dem Wirtschaftsminister. Wir schauen uns das genau an. Es ist nicht nachhaltig, Weizen und Mais in den Tank zu schütten. Mit den immensen Flächen, die auf der ganzen Welt dafür verwendet werden, könnte man hungernde Menschen ernähren und gleichzeitig einen Beitrag leisten zur Ökologie. Global gesehen müssen wir den Biosprit auf jeden Fall reduzieren.