Berlin/Brüssel. Faktencheck zur Kriegsgefahr: Diese drei Gründe sprechen für Entspannung. Doch der Teil-Abzug Russlands könnte auch eine Finte sein.

Im Ukraine-Konflikt gibt es vorsichtige Zeichen der Entspannung. Russland signalisiert Interesse an weiteren Gesprächen mit dem Westen und hat nach Angaben von Präsident Wladimir Putin mit dem Teil-Abzug von Truppen im Süden und Westen des Landes in der Nähe der Ukraine begonnen. Was dahinter steckt, ist aber unklar. Die USA und die Nato bleiben skeptisch. „Eine Invasion ist weiter klar möglich“, sagt US-Präsident Joe Biden, „die russischen Truppen bleiben in einer bedrohlichen Position“. Hat Putin mit dem Aufmarsch von 150.000 Soldaten und schweren Waffen nur geblufft? Oder plant er weiter mit einem Angriff auf die Ukraine, ist der Abzug nur ein Täuschungsmanöver? Was für Entspannung spricht – und warum die Kriegsangst nicht vorbei ist. Lesen Sie hier den Kommentar: Kriegsangst in der Ukraine: Blufft Präsident Putin nur?

Russlands Strategie: Drei Gründe, die für einen Putin-Bluff sprechen

Invasion ist zu riskant für Putin: Ein Einmarsch in die Ukraine mit der Besetzung des gesamten Landes wäre auch für das militärisch überlegene Russland ein langes, teures und verlustreiches Abenteuer. Die ukrainische Armee ist in den letzten Jahren umfassend modernisiert worden, zuletzt bekam sie vom Westen Panzer- und Luftabwehrwaffen, die einen russischen Vormarsch zumindest bremsen würden. Und viele Ukrainer sind entschlossen zum Widerstand. Der US-Sicherheitsberater Robert Kagan spricht von der „riskantesten Militäroperation“ Moskaus seit Russlands Niederlage in Afghanistan vor vier Jahrzehnten. Lässt Putin aber nur einen Teil der Ukraine besetzen – etwa den Osten und im Süden eine Verbindung zur Krim - würde er das strategische Ziel einer neutralen oder prorussischen Ukraine voll verfehlen: Die restliche Ukraine würde erst recht auf einen Nato-Beitritt drängen, das Bündnis würde seine zögerliche Haltung überdenken und zudem an der Nato-Ostgrenze massiv aufrüsten.

Es drohen massive Sanktionen: Die USA und die Europäische Union sind gemeinsam entschlossen zu massiven wirtschaftlichen und politischen Strafmaßnahmen, wenn Putin einen Krieg beginnen sollte.

US-Präsident Joe Biden spricht im  Weißen Hauses über den Ukraine-Konflikt.
US-Präsident Joe Biden spricht im Weißen Hauses über den Ukraine-Konflikt. © dpa | Alex Brandon

Biden spricht von „gewaltigen Sanktionen“, die Welt werde diesen Angriff nicht vergessen. Mit dieser Einigkeit des Westens hat Putin vermutlich nicht gerechnet: Dazu gehört ein Ende der neuen Gaspipeline Nord Stream 2, was Russland wegen der entfallenden Einnahmen erheblich schaden würde. Außerdem die Blockade von wichtigen Großbanken, unter Umständen auch die Abkopplung vom internationalen Zahlungssystem Swift. Die Lieferung wichtiger High-Tech-Güter an Russland – etwa für Laser, Raumfahrt, Computer – würde der Westen stoppen. EU und USA würden versuchen, Russland politisch für längere Zeit zu isolieren, die Beziehungen würden eingefroren. Der künftige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sagt, Putin habe den Westen nicht spalten können: „Putin sieht sich einer Front der internationalen Staatengemeinschaft gegenüber, jetzt tritt er den Rückzug an und lockert die Schraube.“

Moskau sieht bereits Erfolg: Von russischen Sicherheitsexperten und Staatsmedien wird als großer Erfolg hervorgehoben, dass der Westen die russischen Sicherheitsbedenken nun ernster nehme und zu Gesprächen bereit sei – angeblich zum ersten Mal seit 30 Jahren. Die Chefin der staatlichen Medienagentur Russland Heute, Margarita Simonjan, sagt: „Vorher wollte niemand über Sicherheit reden. Jetzt schaut euch die lange Schlange jener an, die nach Moskau reisen.“ Putin sagt: „Wir sind bereit, weiter zu verhandeln.“ Russland wolle „natürlich keinen Krieg“, deshalb habe es Vorschläge für eine Vereinbarung zur gleichen Sicherheit für alle gemacht – keine Nato-Erweiterung, Rückzug von Nato-Truppen aus den osteuropäischen Bündnisländern. Und mit dem Verzicht auf einen Einmarsch macht Moskau Punkte in der öffentlichen Meinung: Die Kriegswarnungen des Westens seien nur Propaganda gewesen, Moskau werde „verleumdet“. Dass jetzt weitere Gespräche stattfinden, ist auch für Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Anlass für „vorsichtigen Optimismus“.

Ukraine-Krise: Drei Gründe, warum weiter ein Krieg in der Ukraine droht

Russlands Truppen sind bereit zum Angriff: Die USA und die Nato betonen, bisher gebe es von russischer Seite keine wirkliche Deeskalation. Die Truppen, die Putin jetzt ein Stück ins Landesinnere abziehe, könnten jederzeit binnen weniger Tage zurückkehren. Die Waffen würden nicht abgezogen. Die Soldaten, die über tausende Kilometer aus Fernost eingeflogen wurden, würden ohnehin an der Grenze zur Ukraine bleiben und seien zuletzt in Angriffspositionen vorgerückt - mit Panzern, Kampfflugzeugen, Raketen. Russland-Experte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sagt: „Die russischen Truppen können immer wieder vor und zurück gehen. Das wird eine sehr lange Geschichte.“

Putin: Russland will in Ukraine-Konflikt keinen Krieg
Putin: Russland will in Ukraine-Konflikt keinen Krieg

Außerdem hat Putin jetzt eine Trumpfkarte in der Hand, die er jederzeit ausspielen kann: Das russische Parlament hat den Präsidenten aufgefordert, die Separatistengebiete in der Ostukraine offiziell als souveräne Staaten anzuerkennen. Wenn Putin dem nachkommt, stünde wohl bald ein offizieller Einmarsch von russischen Truppen in die sogenannten Volksrepubliken, also in Teile der Ukraine, bevor. Putin vermeidet es auch weiterhin, militärische Aktionen klar und verbindlich auszuschließen.

Putin ist auf Sanktionen vorbereitet: Die russischen Währungs- und Goldreserven im Wert von 630 Milliarden Dollar sind auf Rekordhoch, die Schulden von Staat und Unternehmen stark reduziert, die Abhängigkeit vom Dollar verringert. Als Lehre aus den westlichen Sanktionen nach der Krim-Besetzung 2014 hat Putin sein Land auf einen möglichen Wirtschaftskonflikt vorbereitet. Nur ein Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem Swift wäre für Russland ein echter Schock – aber ein solcher Schritt würde auch das westliche Finanzsystem durchrütteln. Putin kann zudem auf Hilfe von China hoffen, wenn der Westen sein Land mit Sanktionen isolieren will.

Ein Konvoi gepanzerter russischer Fahrzeuge Mitte Januar auf einer Autobahn auf der Krim.
Ein Konvoi gepanzerter russischer Fahrzeuge Mitte Januar auf einer Autobahn auf der Krim. © dpa

Russlands Kernforderungen werden nicht erfüllt: Putin beharrt weiter auf Forderungen, die die USA und die Nato bereits klar abgelehnt haben. Die Nato dürfe keine neuen Mitglieder und vor allem niemals die Ukraine aufnehmen, verlangt er. Außerdem müsse Nato ihre Truppen aus den osteuropäischen Mitgliedsländern vom Baltikum bis Bulgarien zurückziehen und dürfe keine Raketen an der Grenze zu Russland stationieren. Zwar betonen westliche Politiker jetzt, dass ein Nato-Beitritt der Ukraine „nicht auf der Tagesordnung steht“.

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Doch Putin hat jedem seiner westlichen Gesprächspartner klar gemacht, dass ihm das nicht reicht: Wenn die Ukraine nicht morgen aufgenommen werde, sondern erst übermorgen, ändere das historisch gesehen für Russland gesehen nichts, betont der Kremlchef: „Und dann kann es schon zu spät für uns sein. Deshalb wollen wir diese Frage jetzt lösen.“ Putin warnt auch, er werde nicht zulassen, dass eine Lösung in Gesprächen verschleppt werde. Und der Kremlherrscher lässt durchblicken: Bekommt er die verlangten Sicherheitsgarantien nicht, könne die Kriegsgefahr steigen. Die Lage am Boden sei nicht vorhersagbar und „hängt nicht allein von uns ab“.