Berlin. Ein Gericht wertete übelste Beschimpfungen gegen Grünen-Politikerin Künast als „hinnehmbar“. Der Juristinnenbund kritisiert das Urteil.

Für das Berliner Landgericht ist „Drecks Fotze“ keine Beleidigung. Der Ausdruck bewege sich „haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch Hinnehmbaren“, heißt es in der Entscheidung, die unserer Redaktion vorliegt.

Es ist nur ein Fall von drastischen Beschimpfungen, die Grünen-Politikerin Renate Künast in dem sozialen Netzwerk Facebook abbekam. Weitere Nutzer hatten Künast als „Stück Scheisse“ und „altes grünes Dreckschwein“ bezeichnet.

Auch andere beleidigende und sexistische Posts finden sich in der Urteilsbegründung, insgesamt wollte Künast gegen 22 Facebook-Profile vorgehen. Doch in keinem Fall sieht das Gericht eine Beleidigung nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuches.

Künast auf Facebook beleidigt – Juristinnen sehen Grenze überschritten

Gegen die Entscheidung der Berliner Richter hagelt es Kritik. Der Deutsche Juristinnenbund (DJB) sieht eine Grenze überschritten. „Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und Kritik an Politikerinnen und Politikern darf auch polemisch und überspitzt sein. Es gibt aber Grenzen des Akzeptablen, wer die Beispiele liest, der sieht sie vernünftigerweise hier überschritten“, sagte die Präsidentin des DJB, Maria Wersig, unserer Redaktion. Es sei gut, dass Renate Künast angekündigt habe, Beschwerde gegen den Beschluss einzulegen.

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Alle 22 Hass-Kommentare gegen Künast entstanden als Reaktion auf einen gelöschten Post des rechten Netzaktivisten Sven Liebich. Liebich beruft sich auf einen Artikel in der „Welt“ aus 2015. Darin wird eine Äußerung Künasts aus dem Mai 1986 im Berliner Abgeordnetenhaus aufgegriffen, in dem sie damals saß.

Demnach redete eine grüne Fraktionskollegin zum Thema häusliche Gewalt, als ein CDU-Abgeordneter die Zwischenfrage stellte, wie sie zum Beschluss der nordrhein-westfälischen Grünen stehe, Geschlechtsverkehr mit Kindern zu entkriminalisieren. Laut Bericht rief Künast dann dazwischen: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist.“ Liebich hat diese Aussage in seinem Post um „...ist Sex mit Kindern doch ganz ok“ ergänzt, was nach Auffassung des Berliner Landgerichts zulässig ist.

Künast: „Dieser Beschluss ist ein Schlag ins Herz der Demokratie!“

Künast selbst reagierte erwartungsgemäß mit Fassungslosigkeit auf das Urteil. „Der Beschluss des Landgerichts ist kaum zu fassen. Solche abwertenden Aussagen als hinzunehmende Meinungsäußerungen zu qualifizieren, spielt Rechtsextremen und Rechtspopulisten in die Hände“, heißt es in einem Statement an unsere Redaktion.

Und weiter: „Hass und Hetze sind eine gezielte Strategie, einen offenen Meinungsaustausch im Netz zu zerstören und politisch engagierte Menschen und insbesondere Frauen aus diesen Räumen zu verdrängen! Dieser Beschluss ist ein Schlag ins Herz der Demokratie!“

Viele Künast-Angreifer mit Bezug zur AfD

Unserer Redaktion liegen die Namen der Facebook-Nutzer vor, die Künast verbal angegriffen hatten. Mehrere Profile teilen Videos und Kommentare der AfD. Andere Nutzer pöbeln auf Facebook gegen die Grünen, aber auch gegen Kanzlerin Merkel. Einzelne Profile verbreiten Beiträge über Verschwörungstheorien etwa über die Anschläge in New York 2001.

Mehrere Politikerinnen äußerten Unverständnis über das Urteil des Berliner Gerichts. Linksparteichefin Katja Kipping sagte: „Diese Form von Hass wird noch immer zu sehr verharmlost.“ Das müsse aufhören.

Schleswig-Holsteins Justizministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) wollte die Entscheidung eines unabhängigen Gerichts nicht bewerten, hob aber hervor, dass die Politik Menschen noch besser schützen müsse, die „Gewalt oder Gewaltandrohungen“ ausgesetzt seien.

Juristinnenbund: Frauen sollen offenbar eingeschüchtert werden

Wersig, die Präsidentin des Juristinnenbundes, hob gegenüber unserer Redaktion die sexistische Seite dieser Hass-Postings hervor. „Viele Frauen, die sich öffentlich äußern, werden mit Sexismus, Vergewaltigungsdrohungen und blankem Hass, von einer zum Teil organisierten Meute attackiert.“

Offenbar gehe es darum, „Frauen zu zwingen, sich aus der Debatte zurückzuziehen, den öffentlichen Raum zu verlassen“, sagte Wersig. „Sie sind Pöbeleien, sexistischer Anmache, der Androhung von Vergewaltigung bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt.“

Gesetz bisher für sexistische Hate-Speech blind

Die Juristin fordert die Politik zum Handeln auf und Frauen auch in den Debatten in sozialen Netzwerken besser zu schützen. „Wir brauchen eine zügige Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes.“ In der Debatte über die Wirksamkeit des Gesetzes fehle „bisher das Augenmerk für das Thema sexistischer Hate-Speech, das wird sich sicherlich nun ändern“, so Wersig.

Vor zwei Jahren hatte die Bundesregierung das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, verabschiedet. Es verpflichtet die Betreiber großer Onlineplattformen wie Facebook und Twitter dazu, Beiträge zu entfernen, die gegen bestimmte Paragrafen wie Volksverhetzung oder Beleidigung verstoßen. Immer wieder wurde kritisiert, dass das Gesetz wenig Wirkung zeige. Derzeit arbeitet das Justizministerium an weiteren Maßnahmen zum Schutz gegen Hasskommentare im Netz. Neun Tipps zum Umgang mit Hass und Hetze im Netz.