Rom. Italiens Präsident Sergio Mattarella schmiedet im Hintergrund eine neue Regierung. Kann der Sizilianer das Land aus der Krise führen?

Nur ein einziges Mal gibt Sergio Mattarella als italienischer Präsident seine Reserviertheit auf. „Um den Menschen zu begleiten, der mir auf Erden am liebsten war, habe ich wiederholt mehrere Wochen in Krebs-Krankenhäusern verbracht.“

In einer Rede zum italienischen Tag der onkologischen Forschung hebt er im Oktober 2015 den Blick vom Manuskript und gewährt mit diesen frei gesprochenen Worten für wenige Sekunden Einblick in sein Privatleben. Der Schmerz über den Tod der Ehefrau drei Jahre zuvor bricht ihm dabei fast die Stimme.

Gesunde sollten regelmäßig Zeit in Krankenhäusern verbringen, um im Kontakt mit dem Leiden die wahre Bedeutung der Dinge zu erkennen, sagt er schlicht. Nach dieser Mahnung schlüpft er wieder in das Gewand des Garanten der italienischen Verfassung und der Institutionen des Staates.

Regierungskrise- Italiens Präsident gibt Parteien mehr Zeit

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    Mattarella lehnte einen Euro-Kritiker als Minister ab

    Mattarella strahlt die für das Amt erforderliche absolute Neutralität jenseits aller Skandale aus. Der vom Parlament gewählte Präsident ernennt unter Beachtung der Ergebnisse der Parlamentswahlen den italienischen Ministerpräsidenten und sein Kabinett.

    Dass er dabei nicht nur über formale Kompetenzen verfügt, sondern auch einen gewissen Spielraum für politische Kompetenzen hat, zeigte der ehemalige Verfassungsrichter bereits bei der letzten Regierungsbildung. Vor 14 Monaten lehnte er den für seine Anti-Euro-Positionen bekannten Paolo Savona als Wirtschafts- und Finanzminister ab.

    Ein Mann, der nicht aus der Ruhe zu bringen ist

    Als daraufhin sowohl die populistische Fünf-Sterne-Bewegung als auch die rechten Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn forderten, reagierte der Präsident wie immer mit stoischer Ruhe. Trotz ihres Protests gingen die Fünf-Sterne-Bewegung und die rechtsnationale Lega auf Mattarellas Forderungen nach einem weniger umstrittenen Wirtschaftsminister ein.

    Savona erhielt das als weniger wichtig geltende Ressort des Ministers für europäische Angelegenheiten. Das Kabinett von Ministerpräsident Giuseppe Conte geriet damit weniger europafeindlich als ursprünglich geplant. Seither verfolgte der Präsident sämtliche Ausfälle der Bündnispartner gegeneinander und von Innenminister Matteo Salvini gegen Migranten und Flüchtlingsretter, ohne eine Miene zu verziehen.

    Ist am Ende nur eine Neuwahl möglich?

    Matteo Salvini, Innenminister und Vize-Premier von Italien, ließ die Koalition seiner rechtspolulistischen Lega mit der Fünf-Sterne-Bewegung platzen.
    Matteo Salvini, Innenminister und Vize-Premier von Italien, ließ die Koalition seiner rechtspolulistischen Lega mit der Fünf-Sterne-Bewegung platzen. © dpa | Valerio Portelli

    Zu beneiden ist er nicht: Mattarella muss entscheiden, wer nach dem Zerbrechen der Populisten-Allianz aus der rechten Lega von Matteo Salvini und der Fünf-Sterne-Bewegung das wirtschaftlich schwächelnde Land aus der Krise führt. Ist es eine alternative Regierung aus Sozialdemokraten (PD) und Sternen? Oder ist nur eine Neuwahl möglich?

    Seit Beginn der aktuellen Regierungskrise machte Mattarella klar, dass er nicht bereit ist, langwierigen taktischen Schachzügen der Parteien Raum zu geben. Wenige Stunden nachdem Conte seinen Rücktritt als Ministerpräsident eingereicht hatte, hörte er alle Parteien in so raschem Tempo an, dass Medien die Gespräche „Blitz-Konsultationen“ tauften.

    Ein belastbarer Haushalt für 2020 muss her

    Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio wird erst am Donnerstagabend bei Staatspräsident Sergio Mattarella vorsprechen.
    Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio wird erst am Donnerstagabend bei Staatspräsident Sergio Mattarella vorsprechen. © dpa | Cecilia Fabiano

    Nachdem sich eine Einigung auf eine neue Koalition zwischen Fünf-Sterne-Partei und Sozialdemokraten abzeichnete, setzte er noch einmal zweitägige Beratungen an.

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      So gewährte er den beiden Parteiführungen einen weiteren Tag, denn Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio wird erst am Donnerstagabend bei Mattarella vorsprechen.

      Ohne dies je offen auszusprechen, drängt der Präsident zu Eile, denn bis Jahresende gilt es in Abstimmung mit der EU einen Haushalt für das nächste Jahr zu verabschieden. Sollten dabei nicht bis zu 23 Milliarden aufgebracht werden, greifen Sparklauseln mit automatischer Mehrwertsteuererhöhung auf 25 Prozent.

      Überdies gilt es, rasch einen Kandidaten für den künftigen EU-Kommissar zu ernennen. Auch deshalb will Mattarella dem Wahlkampfgetöse der möglichen Koalitionspartner möglichst wenig Spielraum lassen.

      Der Bruder wurde von der Mafia erschossen

      Die Rolle des Ruhepols, der auch in bewegten Zeiten nie die Kontrolle verliert, lernte der 1941 in Palermo als Sohn eines christdemokratischen Politikers geborene Staatspräsident früh. Auf dem Weg in die Kirche wurde sein Bruder Piersanti 1980 von Schüssen eines bis heute unbekannten Täters getroffen.

      Während der Auftragsmörder der Mafia entkam, starb der damalige Gouverneur Siziliens in den Armen seines Bruders Sergio. Unter dem Eindruck der Tat konzentrierte dieser sich später auf sein politisches Engagement. Für die Christdemokraten kam er 1983 ins Parlament.

      Er warf die Freimaurer aus seiner Partei

      Innerhalb der Partei leitete er die Kommission, die Anfang der 80er-Jahre Mitglieder der Freimaurer-Loge P2 aus der Partei ausschloss. Die Geheimorganisation stand im Verdacht, Pläne für einen Staatsstreich geschmiedet zu haben.

      Im Lauf seiner 25-jährigen Karriere als Abgeordneter bekleidete Mattarella mehrfach Ministerposten, bevor er zum Verfassungsrichter ernannt wurde. Mit knapp zwei Drittel der Stimmen von der linken Opposition bis zur Mitte-rechts-Partei von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi wurde er schließlich 2015 zum Präsidenten gewählt.

      Ungeschönter Blick auf die Vergangenheit

      Bereits am Tag seiner Wahl zum Staatsoberhaupt besuchte Mattarella die Ardeatinischen Höhlen vor den Toren Roms. Dort hatten die deutschen Besatzer 1944 nach einem Partisanenanschlag 335 Menschen erschossen. „Europa und die Welt müssen mit vereinten Kräften kämpfen, um all diejenigen zu besiegen, die uns in eine neue Zeit des Terrors reißen wollen“, mahnte er vor dem Massengrab.

      Zum 80. Jahrestag der italienischen Rassengesetze von 1938 machte er entgegen allgemeiner Überzeugungen nicht Deutschland, sondern das faschistische Italien für deren Verabschiedung verantwortlich. Dabei sprach er von einem Regime, das keinerlei Verdienste gehabt habe. Die Jagd auf Juden sei „keine Entgleisung, sondern Teil des Wesens des gewalttätigen und intoleranten Systems“ gewesen. Mattarella ist ein Präsident, der keine unbequemen Wahrheiten scheut.