London. Boris Johnson ist der Liebling der Torys. Er wird wohl Nachfolger von Theresa May. Daran ändert auch ein schwacher TV-Auftritt nichts.

Der Auftritt am Dienstagabend war nicht der beste. Zwar hatte Boris Johnson beim TV-Duell die Lacher auf seiner Seite, inhaltlich aber war er schwach. Auf Fakten gab er nicht viel – wie so oft.

Wie er das dreimal im Parlament gescheiterte Brexit-Abkommen mit der EU neu verhandeln wolle, obwohl Brüssel wieder und wieder klar gemacht hat, dass es keine Nachverhandlungen geben wird? Keine klare Antwort von Johnson. Wie er die EU dazu zu bringen gedenke, Großbritannien eine Übergangsfrist nach dem Brexit zu gewähren, ohne dass London seine Schlussrechnung aus der Zeit der EU-Mitgliedschaft begleicht? Nebulöses Geschwurbel.

Boris Johnson – deshalb wird er „Yellow Submarine“ genannt

Zum ersten Mal im Wahlkampf um die Nachfolge von Premierministerin Theresa May hatte sich Johnson einer TV-Debatte mit seinem Mitbewerber Jeremy Hunt gestellt . Sein Wahlkampfteam hielt es für geboten, ihn möglichst lange auf Tauchstation zu halten. Deshalb auch der Spitzname des 55-Jährige: „Yellow Submarine“ – in Anspielung auch auf seinen blonden Schopf.

Man vermied einfach die Fragen von kritischen Journalisten. Denn es gibt nur einen, der Boris Johnson den Sieg beim Kampf um den Parteivorsitz der Konservativen nehmen kann, und der ist Boris Johnson selbst.

Sein loses Mundwerk hat ihm in der Vergangenheit schon allzu oft Ärger eingebracht. Die flotten Sprüche eines Boris Johnson mögen bei seinen Fans ankommen, aber die Grenze zur Entgleisung ist nie weit. Er schrieb über „das Melonen-Grinsen“ von „Neger-Babys“ und verglich Burka-Trägerinnen mit Bankräubern. Da klang oft ein Schuss Rassismus mit.

Völlig unangemessen wurde es auch, als Johnson britischer Außenminister wurde und seine Sentenzen auf der Weltbühne zum Besten gab. Libyen, sagte Chefdiplomat Johnson damals, hätte das Zeug zum Touristenparadies, „man muss nur die Leichen wegräumen“. Taktloser geht es nicht.

Boris Johnson schreckt auch vor Lügen nicht zurück

Boris Johnson am Montagabend bei einer Frage-Antwort-Runde der Zeitung „The Telegraph“.
Boris Johnson am Montagabend bei einer Frage-Antwort-Runde der Zeitung „The Telegraph“. © Reuters | POOL New

Auch vor handfesten Lügen schreckte Johnson nicht zurück – zumindest hantierte er mit himmelschreienden Unwahrheiten. Vor dem Brexit-Referendum im Juni 2016 zog er mit der Behauptung durchs Land, ohne die EU-Verpflichtungen würde Großbritannien pro Woche 350 Millionen Pfund sparen, die dann ins staatliche Gesundheitssystem fließen könnten.

Berücksichtigt man die Fördergelder aus Brüssel, belaufen sich die Zahlungen der Briten auf netto gerade mal die Hälfte, rund 180 Millionen Pfund. In den 80er-Jahren wurde er als Jungjournalist bei der renommierten Tageszeitung „The Times“ entlassen, weil er ein Zitat verfälscht hatte.

Gegen Ende des Wahlkampfs fand der Premierminister in spe doch noch den Weg in das Fernsehstudio des Senders ITV. Doch das Risiko war kalkuliert. Der Sieg ist Boris Johnson kaum noch zu nehmen.

Boris Johnson hat 48 Prozent Vorsprung vor Hunt

Bei diesem Rennen um das höchste Amt im Staat – denn der Parteivorsitzende der Torys wird automatisch auch Premierminister – entscheiden allein die rund 160.000 Mitglieder der Konservativen Partei. Unter denen ist Johnson eindeutig der Spitzenreiter.

Das Meinungsforschungsinstitut YouGov befragte am Anfang der Kampagne die Parteimitglieder, wen sie bevorzugen. Von denen, die sich schon entschieden hatten, sprachen sich 74 Prozent für Johnson und 26 Prozent für Hunt aus. Das ist ein Abstand von 48 Punkten, der bis heute geblieben ist.

Am letzten Wochenende wurden die Wahlunterlagen an das Parteivolk verschickt. Viele werden den Wahlzettel schon zurückgeschickt haben. Gut möglich, dass zwei Wochen vor dem Ende des Tory-Wahlkampfs die Entscheidung schon gefallen ist.

Im Grunde hatte Jeremy Hunt von Anfang an kaum eine Chance. Sein Spitzname lautet „Theresa in Hosen“: Er war wie Noch-Premierministerin May im Referendum ein „Remainer“ – er hatte für den Verbleib in der EU gestimmt. So etwas vergisst – oder verzeiht – die Basis nicht.

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Brexit ist für die Tory-Parteibasis das Thema Nummer eins

Beim Parteivolk der Konservativen ist die Radikalisierung weit vorangeschritten. Nichts auf der Welt scheint wichtiger für die Mitglieder der Konservativen Partei als der EU-Austritt am 31. Oktober. Wie eine Umfrage demons­trierte, will eine Mehrheit von ihnen den Brexit, selbst wenn dieser zu einem Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs, zu schwerem Schaden für die Wirtschaft und zur Zerstörung der Konservativen Partei führen würde.

Johnson bedient diese Klientel passgenau. Er hat einen „Do or die“-Brexit zum 31. Oktober angekündigt. Alles oder nichts, der Austritt kommt auf jeden Fall, eine weitere Verlängerung soll es nicht geben. Johnson will als derjenige Politiker in die Geschichtsbücher eingehen, der Großbritannien aus der EU geführt hat. Mit seinem Chaos-Brexit will er vollendete Tatsachen schaffen. Um die Konsequenzen kann man sich dann später kümmern.

Der Blondschopf behauptet dabei, die Chancen eines No-Deals würden bei „eins zu einer Million“ liegen. Denn er wolle, sobald er ins Amt gekommen sei, Gespräche mit Brüssel aufnehmen, um das Austrittsabkommen wieder aufzuschnüren. Johnson verlangt Änderungen beim sogenannten Backstop, der eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland verhindern soll. Auch will er erst dann die vereinbarten finanziellen Verbindlichkeiten Großbritanniens von rund 43 Milliarden Euro zahlen, wenn die EU ihm einen besseren Deal anbietet. Ob er realistische Chancen hat, in Brüssel Gehör zu finden, darf bezweifelt werden.

EU-Chefunterhändler Michel Barnier, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk haben wiederholt unterstrichen: Der Austrittsvertrag kann nicht nachverhandelt werden.